Kurs weit über Grund
Jürgen Preusser kombinierte einen Segeltörn mit Wanderungen durch die Bergwelt der dalmatinischen Inseln und entdeckte dabei völlig neue Perspektiven
Es war einmal ein Segler, der sagte: „Alles, was höher ist als der Mast, interessiert mich nicht. Darum bin ich ja Segler geworden und nicht Bergsteiger.“ Man kann das so sehen. Man muss aber nicht. Zugegeben, auch der Bootsmannsstuhl im Masttopp eröffnet interessante Ausblicke. Zu einer echten Horizonterweiterung kommt es aber erst, wenn wir jene Höhenrücken erklimmen, die uns oft vor Unwettern und Stürmen schützten, die Fallböen schickten und damit die Regatta entschieden, die uns die kitschigsten Sonnenauf- und -untergänge bescherten.
Trotzdem: Wandern als Teil des Segeltörns lockt den gemeinen Adriasegler nicht so leicht aus dem Cockpit. Vielleicht hilft ein nautisches Argument: Nirgendwo konnte ich den Kap-Effekt, das Wechselspiel zwischen hellen und dunklen Flecken auf dem Wasser, die Ankunft und Auflösung von Böen oder die Änderungen der Windrichtung durch die Landmasse systematischer beobachten als von der Spitze des Berges Opat im südöstlichen Teil der Insel Kornat.
237 Meter liegt der Opat-Gipfel Metlina über der Bucht Striznja mit den beiden Konobas „Darko“ und „Quatro“, wo unsere Dalmatino Zara längsseits liegt. „273 m“ steht hingegen auf dem Betonblock am Dach der Kornaten. Mag sein, dass einem der Aufstieg so vorkommt. Wahrscheinlich ist die ausgebleichte Zahl jedoch das Werk eines Legasthenikers. Vielleicht hatte der gute Mann auch nur einen Sonnenstich, denn an heißen Hochsommertagen ist vom Aufstieg auf den Metlina abzuraten. Zumindest wenn man nicht über Sonnenschutz und einen ordentlichen Wasser-Kanister am Buckel verfügt. Und über Bergschuhe. Denn wer den Metlina erreichen will, braucht Bergschuhe. Alles andere wäre fahrlässig. Punkt. Die wackligen Karstfelsen sind tückisch und haben messerscharfe Kanten, die selbst teure Sportschuhe zu Einwegprodukten machen.
Im Frühling und Frühsommer ist die Steinwüste der Kornaten von einem grünen Flaum überzogen. Blumen in allen Farben erkämpfen sich in den Karstspalten ihr Leben. Die Seeluft bekommt durch Salbei, Thymian, Rosmarin und diverse andere Kräuter eine ganz spezielle Würze. Oberhalb der Bucht Kravljacica verbirgt sich ein Olivenhain. Ein paar Esel stehen unter den knorrigen Bäumen. Ein Bauer bestätigt uns, dass der angenehmste Steig auf den Opat nördlich dieser Oase verläuft. „Gerade rauf geht nur große Idiot“, sagt er.
Martin Rettenwenger wusste das natürlich. Zu Hause in Filzmoos betreibt er eine kleine Landwirtschaft, arbeitet hauptberuflich in einem Sportgeschäft und ist Wanderführer mit Leib und Seele. Durch einen Zufall haben sich seine Fähigkeiten herumgesprochen, als bei Sailorama Segelreisen gerade an einer neuen Geschäftsidee gebastelt wurde: Segeln und Wandern.
Kann das funktionieren?
Ja, es kann.
Gutes Team
Skipper Helmut Hartinger kommt aus Norddeutschland und mit Martin bestens zurecht. „Auch, weil ich auf die Wanderungen pfeife“, lacht er und vergräbt sich in seiner Hängematte, die zwischen Backbord-Want und Vorstag baumelt. Helmut bewacht das Schiff, während wir Mitsegler gemeinsam mit Martin die Bergschuhe schnüren. Die Blicke, die uns das Ehepaar vom Motorboot am gegenüberliegenden Steg zuwirft, sind fragend und vielsagend zugleich.
Trotz des steilen Aufstiegs entlang der für die Insel Kornat typischen Steinmauern hat Martin genug Luft, um aus seinem Leben zu erzählen. Ursprünglich wollte er Bergführer werden, doch als es fast so weit war, bohrte ihm eine nahe Verwandte bei der Stallarbeit die Heugabel durch den Fuß. Ab und zu trauert er der verpassten Chance noch nach. „Doch ich genieße mein Leben als Wanderführer, Skilehrer und Landwirt“, sagt er. Sein Nebenjob auf den Inseln der Adria beschert ihm eine facettenreiche Abwechslung zum geliebten Dachsteingebiet. So wie jetzt, genau in diesem Augenblick: Gut fünfzig Schafe, aufgefädelt wie auf einer Perlenkette neben der Oase. „Das gefällt mir, obwohl ich zu Hause Kühe habe“, sagt er. Unvorstellbar, wie viel Leben es auf der kargen Insel Kornat gibt! Unvorstellbar und für jene Segler, die hier schon hundert Mal vorbeigerauscht sind, ohne auch nur einen Hügel zu erklimmen, auch unsichtbar.