Gefahr im Anflug

Hütet euch vor den Gemeinen und den Deutschen. Aber vor allem vor übertriebenem Aktivismus

Gefahr im Anflug

„Daf ift nift luftig!“ nuschelte Karl. Sein Antlitz in Kombination mit diesem epochalen Satz vermittelte allerdings einen ganz anderen Eindruck. Die Oberlippe war auf die Größe eines Tennisballs angeschwollen, seine Nase, die schon im Normalzustand der Schnalle eines Burgtores ähnelt, war nach oben gebogen, die Augen tränten. Alle Beobachter der dynamisch anschwellenden Gesichtspartie ihres Skippers schlugen ihre Zähne in die Unterlippen – einerseits, um sich das Lachen buchstäblich zu verbeißen, andererseits natürlich um Karls Leiden nachfühlen zu können.
Wo blieb euer Mitleid? werden Sie fragen. Nein, wir sind keine Unmenschen: Karl war definitiv außer Lebensgefahr. Einen Schmerzmittel-Hammer hatte er bereits geschluckt, ein Antiallergikum war verabreicht, sein Gesicht mit kühlender Creme eingeschmiert worden. Zeitweise hielt er ein Coolpack an die Wange, einer war unterwegs um beim Wirten ein Sackerl mit Eiswürfeln zu organisieren. Und die Feststellung, dass Karl in diesem Zustand als Double für Cyrano de Bergerac durchgehen würde, blieb bis zuletzt unausgesprochen.
Karl hatte seiner Crew stets eingeimpft, nie aus Dosen oder Flaschen zu trinken, sondern immer ein Glas zu verwenden. Doch an diesem Tag vergaß er ob des geilen Segelwindes genau dieses elfte Gebot seiner routinemäßigen Sicherheitsanweisungen, nahm einen kräftigen Schluck aus der Karlovacko-Dose – und spuckte ihn postwendend dem Mann an der Genuaschot ins Genick. Zu spät; Karl war von einer ertrinkenden Wespe von innen in die Oberlippe gestochen worden.
Zugegeben, das war tatsächlich alles andere als lustig. „Noch ein Glück, dass du sie nicht geschluckt hast“, sagte einer. „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist“, ergänzte ein anderer, frei nach Friedrich Torbergs Tante Jolesch. Karl musste weinen vor Glück (und vielleicht auch wegen der mitfühlenden Kommentare).
Menschen auf Segelbooten fürchten sich zu Unrecht vor Haien, manchmal zu Recht vor Quallen, sie greifen beim Tauchen nichts an, was giftig sein könnte, sie erzählen von Seeschlangen, Riesenkraken und anderen Ungeheuern. Manche basteln gezackte Plastiktrichter aus Wasserflaschen und stülpen sie über die Anlegeleinen um Ratten abzuwehren (gesehen im Hafen von Maddalena, Sardinien). Andere klopfen ihre Schuhe vor dem Anziehen aus um Skorpione zu entfernen.
Doch das gefährlichste Tier, das einem bei einem ganz normalen Segeltörn begegnen kann, ist die Wespe, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um die „Deutsche Wespe“ oder „Gemeine Wespe“ handelt. Beide Arten sind in erster Linie für den schlechten Ruf dieser Spezies verantwortlich.
Nach ein paar Stunden hatte sich Karl wieder erholt. Seine Nase war zwar nicht kleiner als vor dem Stich, aber wenigstens auch nicht größer. Ich überredete ihn zu einem kleinen Rehab-Spaziergang durch die Karstlandschaft. Natürlich in Bergschuhen, um vor Giftschlangen sicher zu sein.
Als wir zurückkamen, herrschte an Bord eine geradezu spirituelle Atmosphäre: Auf dem Salontisch stand ein qualmendes, nach verbranntem Kaffee stinkendes Tongefäß, umgeben von mindestens hundert Kupfermünzen. An der Reling hingen mehrere Büschel Basilikum und Lavendel. Am Niedergang waren zwei halbvolle, mit Klebeband umwickelte Bierdosen aufgestellt. Darauf stand „Vorsicht! Wespenfalle!“, außerdem hatte man mit schwarzem Marker einen Totenkopf aufgemalt. Angeblich hatte einer sogar erfolglos versucht in der Dorfkirche Weihrauch zu besorgen. Über dem Kühlschrank im Salon klebte ein Zettel mit der Aufschrift: „Nur aus Gläsern trinken!!!!!!!!!“
Zwei der Anti-Wespen-Aktivisten hielten Fliegenpracker in der der Hand. Man hatte den Wespen den Krieg erklärt. Und die hatten die Kriegserklärung angenommen: Ein ganzes Kampfgeschwader schwirrte nervös umher.
Der inzwischen vollständig genesene Karl sagte nur: „Das ist sehr lustig!“
*
Überlebt haben alle: Die Gemeinen, die Deutschen – und auch wir Österreicher.

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