In feindlichen Gewässern

Sommerferien XVI*. Ein lebensgefährlicher Ausflug in die eigene Vergangenheit

In feindlichen Gewässern

Zwei 45er Segelyachten, zwei Pärchen, acht Kinder. Ja, es gibt noch Familien, die dafür sorgen, dass wir Europäer nicht so bald aussterben! Vielleicht kommen ja sogar ein paar Segler nach. Unsere Familientörns mit drei Booten, zwölf Erwachsenen und dreizehn Kindern sind längst Geschichte. Doch angesichts des soeben entstehenden Szenarios in einer vor Minuten noch idyllischen Kornaten-Bucht werden viele Erinnerungen wach.

Meine Neugier treibt mich in ein brandgefährliches Unterfangen: Ich beschließe zwischen den beiden Neuankömmlingen durchzuschwimmen, um ein bisserl in der eigenen Vergangenheit zu planschen. Kaum in der Nähe, donnert von unten etwas Rundes, Stumpfes gegen meinen Bauch. Ein Kinderkopf taucht auf und brüllt gänzlich unbeeindruckt von der Kollision: „Papa, da unten ist eine Gurke!“ Der Vollständigkeit halber: Ich bin mit Badehose unterwegs. Der Triumphschrei hat daher nichts mit freizügiger Kindererziehung zu tun, sondern mit der Entdeckung einer Seegurke sieben Meter unter mir.

„Gurke“ ist aber offenbar so etwas wie ein familieninternes Halali. Denn in der nächsten Sekunde schlagen zwei kleine Körper wie Wasserbomben Millimeter neben meinen Schultern ein. Mir wird schlagartig klar, dass ich mich in feindlichen Gewässern befinde. Das Schwojen der beiden Yachten an ihren Ankern verhindert den fluchtartigen Rückzug. Um ein Haar werde ich von einer Frisbee-Scheibe skalpiert. Ich beschließe aus der Todeszone abzutauchen, doch noch während des Luftholens landet ein etwa vierjähriges Mädchen mit den Fersen auf meinem Kopf. Ich bekomme einen Volleyball gegen die Stirn und höre gerade noch, wie sich die Kleine über ihren schmerzenden Fuß beschwert. Ihr Papa macht mir keinen Vorwurf und sagt nur trocken: „Sorry, tut mir leid, aber Sie müssen sofort weg von da! Hier ist es zu gefährlich.“ Im selben Moment ist es auch mit seiner Gelassenheit vorbei, weil sich ein Dreijähriger die Schwimmflügel abstreift und – wie sein großer Bruder zehn Sekunden zuvor – eine wundervolle Arschbombe produziert.

„Papa, du hast aber dein Handy eingesteckt“, kommentiert der ältere Bruder die im weitesten Sinne gelungene Rettungsaktion. Der junge Vater erstarrt zur Salzsäule, verschwindet sofort im Niedergang. Wahrscheinlich, um mit Süßwasser noch zu retten, was wohl nicht mehr zu retten ist, stößt zuvor aber noch einen klassischen Schmerzensschrei aus: „Ahhh! Scheiß-Legosteine!“

(Vielleicht hilft ja Alkohol. Als Handy-Reiniger, nicht als Toleranz-Droge!)

Jetzt treibt das Heck der zweiten Yacht an mir vorbei. Dort sind ganz andere Herausforderungen zu bewältigen: „Mama, ich wollte die Salatschüssel rauftauchen, aber da ist es zu tief.“ Darauf die entsetzte Mutter: „Lukas, bitte sag mir, dass das nicht wahr ist: Du hast allen Ernstes die Schüssel versenkt?“ Darauf Lukas ohne einen Funken Reue: „Ja, und die Gabeln auch. Was kann ich denn dafür, wenn mein Herr Vater dort ankert, wo es viel zu tief ist?“ Mir kommt ein Gedanke: „Wie schön, dass nicht alle Kinder ausschließlich mit ihren Handys spielen!“ Doch den behalte ich sicherheitshalber für mich. Andernfalls würde mir die entrüstete Mutter womöglich auch noch die Bratpfanne und den Nudelwalker nachschmeißen.

Ich weiche einem Stand Up Paddle Board aus, dessen winzige Pilotin fest entschlossen ist, mich zu halbieren. Schließlich gelingt es mir, den Kriegsschauplatz so gut wie unverletzt zu verlassen und zurück zu unserer Charter-Yacht zu schwimmen.

Die dortige Crew befindet sich im Tiefschlaf. Ich bin sicher, dass sie alle von den guten alten Zeiten und damit von den wohl schönsten Urlauben unseres Lebens träumen. Doch so sehr uns in aller Demut bewusst sein muss, was für ein unschätzbares Privileg dieses „Wunder Familientörn“ darstellt: Der Nebel der Erinnerung verschleiert so manche Untiefen und andere dunkle Flecken.

*Jährlich in den Ferien-Monaten Juli und August beschäftigt sich die „Abdrift“ mit dem Wunder Familientörn.

*Jährlich in den Ferien-Monaten Juli und August beschäftigt sich die „Abdrift“ mit dem Wunder Familientörn.

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