Zwölf Beaufort in der Mailbox
Zehn Jahre Abdrift. Gelegentlich schreibt allerdings das echte Leben die besten Satiren
ORF-Mann Hanno Settele musste vor ein paar Wochen einen Shitstorm mit zwölf Beaufort abwettern: Der burgenländische Tourismusverband hatte seine Satire-Sendung „Neusiedl ohne See“ in die falsche Kehle bekommen. In der Sendung wurde ein glasklar erkennbar fiktives Szenario geschaffen: Der Neusiedler See ohne Wasser – und dazu der Umgang betroffener Menschen mit so einer gar nicht so abwegigen Situation.
Ein Gastwirt, der in Zukunft Heuschrecken grillt, weil es keine Fische mehr gibt. Ein Fischer, der jetzt Lamas züchtet. Ein Bootshändler, der Rundreisen auf seinem Parkplatz veranstaltet. Ein Winzer, der seinen Wein Desert Storm nennen will. Ein Energie-Visionär, der mit Hilfe einer alten Gasleitung Adria-Wasser ins Burgenland pumpen will, um ein zweites Barrier Reef zu schaffen. Fußball-Teamchef Ralf Rangnick, der sich für ein neues Nationalstadion auf dem Gebiet des ausgetrockneten Sees stark macht. Und schließlich der Sänger Waterloo, der nur noch „Loo“ heißen will, weil das „Water“ eben nicht mehr da ist. Und der dann wild drauf los jodelt, um das Wasser zurückzuholen.
Dass es Menschen gibt, die mit dem Instrument der Satire nichts anfangen können, ist auch dem Autor dieser Zeilen zum Stolperstein geworden. So führte einst ein beiläufiger Vergleich mit dem Unglückskapitän Francesco Schettino zu einem Shit-Stürmchen in meiner Mailbox. Ein andermal habe ich gefordert, Kielholen für besonders unangenehme Passagiere zu legalisieren. Da wollte mich doch glatt einer klagen! (Vielleicht war der selbst ein Satiriker.)
Immerhin gab es in diesem Land einst sogar einen blauäugigen Vizekanzler, der in die Satire-Falle stolperte: Das Satire-Magazin Die Tagespresse hatte vermeldet, dass alle Kreuze auf Österreichs Berggipfeln durch Halbmonde ersetzt werden.
Besonders schmunzeln muss ich, wenn die Empörung bei jenen Menschen hochkocht, die für den Tourismus zuständig sind. Denn ausgerechnet die verwenden zirka im Drei-Jahres-Rhythmus selbst das Werkzeug Satire, allerdings ohne es zu merken: Immer, wenn die Sommer-Prognose für den Österreich-Tourismus ungünstig ist, taucht in einigen Medien der Weiße Killer-Hai in der Adria auf; dokumentiert durch unscharfe Fotos von einem Walhai, der zu den Vegetariern zählt. (Um potenziellen Leserbriefschreibern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ja, es gibt auch gefährliche Haie in der Adria, aber nicht nur in touristischen Flaute-Jahren.)
Wehe, es geht einmal nicht um Satire, sondern um die Realität! Dann wird es besonders skurril: 2007 war ich Sportchef des Kurier. Anfang Jänner postete ein Segelfreund die Wetterkarte von Island und Umgebung mit dem Kommentar: „Weltuntergang“. Tatsächlich hatte ich noch nie so eng beieinander liegende Isobaren auf einem Luftdruck-Diagramm gesehen. Mein rudimentär meteorologisches B-Schein-Wissen und damals 25 Jahre Segelerfahrung reichten aus, um eine kleine Notiz in die Tageszeitung zu rücken. Hahnenkamm-Prognose: Kein Skirennen auf der Streif.
Am nächsten Tag setzte der Shitstorm ein: Um 8.00 beflegelte mich der Chefredakteur, um 8.20 der Herausgeber, um 8.40 der Direktor des Tiroler Fremdenverkehrsverbandes, um 9.10 der Kitzbüheler Bürgermeister, um 9.30 der Chef des dortigen Ski-Clubs, um 10.00 der Präsident des Österreichischen Skiverbandes.
Zusammenfassung: Die besten Inserenten der Zeitung hätten ihre Anzeigen storniert. Ich hätte den Tourismus ruiniert, Arbeitsplätze und Existenzen vernichtet. Spätestens zu Mittag rechnete ich mit meiner Verhaftung wegen Hochverrats und bat meine Frau, mir Zahnbürste und Pyjama einzupacken.
Neun Tage später peitschte der Orkan Kyrill mit bis zu 100 Knoten über die Alpen, knickte Bäume wie Zahnstocher und verhinderte sämtliche Speed-Rennen des 67. Hahnenkammrennens. Auf die Dankschreiben der oben erwähnten Herren für die kompetente Vorwarnung warte ich bis heute.
Manchmal wissen wir Segler einfach zu viel für diese Landratten-Welt …