Tüfteln, Messen, Forschen
Hintergrundarbeit. Wer schneller segelt, hat mehr taktische Optionen. Die Unterschiede liegen im Detail, bei der Jagd nach Olympiamedaillen spielen daher Entwicklung und Analyse eine entscheidende Rolle
Jeder Fahrten-Regattasegler kennt die Möglichkeiten, die moderne technische Systeme im Wettkampf bieten: Externe Parameter wie Windrichtung oder Windstärke aber auch Bootsgeschwindigkeit (Speed over ground/SOG), optimale Luvgeschwindigkeit (Velocity made good/VMG) und vieles mehr können permanent erhoben und angezeigt werden. Im olympischen Segelsport sind hingegen während einer Wettfahrt überhaupt keine Zusatzinformationen – außer von Kompass und Startuhr – verfügbar und erlaubt. Steuerleute und Vorschoter müssen sich auf ihre eigenen Sinne verlassen. Was sie am Boot spüren, was sie am Wasser sehen und wie sie es in Bezug zur Konkurrenz einordnen, stellt die Basis für alle ihre Entscheidungen dar, egal ob bei Taktik oder Trimm. In den Trainings-Phasen wird aber intensiv geforscht, gemessen und analysiert, um letztendlich den Bug um die entscheidenden Zentimeter vorne zu haben.
In den Anfängen dieser Entwicklung beschäftigte man sich vor allem mit der Wettervorhersage und dem Tüfteln am Segelschnitt. Vor einem Segeltag wurden an Land Messdaten am Rigg in Eigenregie durch die Segler, eventuell auch durch den Trainer, sowie ohne Berücksichtigung messtechnischer Grundlagen und Standards erhoben; Trumpf waren Maßband und Fallen. Dann wurde mit dem Segelmacher diskutiert, wobei man die persönlichen Einschätzungen sowie die Erfahrung aus den Testschlägen mit Trainingspartnern einbrachte.
Wendepunkt Australien
Spätestens mit den Olympischen Spielen 2000 in Sydney änderte sich in dieser Hinsicht einiges. Die späteren Doppelolympiasieger Roman Hagara und Hans Peter Steinacher verfügten dank ihrer akribischen Arbeit über ein Set-up, mit dem sie der Konkurrenz in punkto Bootsgeschwindigkeit deutlich überlegen waren, und sicherten sich zwei Wettfahrten vor Schluss ihre erste Goldmedaille. „Natürlich haben wir schon damals versucht, alle möglichen Parameter möglichst objektiv und reproduzierbar zu erfassen. Im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten ist das rückblickend aber nicht wirklich als wissenschaftlich zu bezeichnen“, erinnert sich Hagara, der mittlerweile der – vom Sportministerium geförderten – Technologieabteilung im Österreichischen Segel-Verband vorsteht. Auch Surfer Christoph Sieber, der in Sydney ebenfalls Gold holte, setzte bei seiner Vorbereitung für damalige Verhältnisse völlig neue Maßstäbe. „Ich habe erkannt, dass unter dem geltenden Reglement der Erfolg sehr stark über die körperliche Fitness führt: Wer beim Start und später in den entscheidenden Phasen der Wettfahrt noch Kraft und Ausdauer für das Pumpen hat, der wird sich durchsetzen“, erzählt Sieber. Also verbrachte er unzählige Stunden am Ergometer. Oft in Obertauern, gar nicht so selten neben einem gewissen Hermann Maier. „Ich hatte beim Training an Land eine Steuerung und Planung als Grundlage, die zu jener Zeit nur in den klassischen Ausdauersportarten angewandt wurde und speziell im Surfsport noch gänzlich unbekannt war“, beschreibt Sieber seinen Weg in den Olymp.
Neue Disziplin, alte Stärken
Aktuell ist im Formula Kite, der jüngsten olympischen Segel-Disziplin, mit Valentin Bontus ein weiterer Österreicher drauf und dran, seine Sportart (gemeinsam mit einer Handvoll Konkurrenten) auf eine neue Ebene zu heben. „Valentin kommt zwar ursprünglich aus dem Freestyle-Umfeld, er hat aber sehr schnell realisiert, dass mit der im Segeln schon seit Jahren gelebten trainingstechnischen Herangehensweise und der notwendigen Akribie auch beim Kite-Foilen viel herauszuholen ist“, erklärt OeSV-Sportdirektor Matthias Schmid. Und spielt damit auf den in vielen Nationen immer noch sehr freigeistig angelegten Zugang der Kiter zum Training an. Mit seiner souveränen, bereits bei erster Gelegenheit erkämpften Olympia-Qualifikation trat Bontus nur zwei Jahre nach seiner Regattapremiere den Beweis für den Erfolg dieses Konzepts an. Zuletzt verbrachte man mit dem Betreuerteam unter der Leitung von Roman Hagara viel Zeit im Windkanal. „Der Fokus der Tests lag auf der Optimierung der Position am Board. Minimale Veränderungen des Körpers und Gewichtsverlagerung haben großen Einfluss auf die Stabilität, die Aerodynamik und schlussendlich die Geschwindigkeit“, fasst Hagara die dabei gewonnenen Erkenntnisse für das Kite-Foilen zusammen.