Kalte Leidenschaft
Eiszeit. Das aus Oberösterreich stammende, erfahrene Blauwasserpaar Claudia und Jürgen Kirchberger segelte auf eigenem Kiel über Ost- und Nordsee bis nach Grönland und erkundete dort das größte und längste Fjordsystem der Welt
Es ist Ende April. Ohne Eile schiebt sich unsere rote Stahlketsch La Belle Epoque über das ruhige Boddengewässer. Ich sitze im Steuerhaus und behalte konzentriert das fahle Weiß voraus im Auge. Sehen kann ich nichts. Wir sind im dichten Morgennebel losgefahren. Eigentlich ganz passend, finde ich. Die Nebelwand ist so weiß wie die Seiten unseres Logbuchs. Seiten, die wir bald füllen werden. Mit Abenteuern, vielleicht auch Grenzsituationen. Mit Freude und Leichtigkeit, mit Sorge und harter Arbeit.
Mit dem Barther Bodden lassen wir Deutschland und den Nebel hinter uns. Ziehen quer durch die Dänische Südsee durchs Kattegat übers Skagerrak. Bei Gegenwind, keinem Wind, wenig Wind. Nach nur wenigen Stopps liegen auch Dänemark und Norwegen in unserem Kielwasser und wir erreichen Lerwick, die Hauptstadt der Shetlandinseln. Wir bleiben länger als gedacht, denn es jagen mehrere Tiefdrucksysteme über den Nordatlantik und verhindern die Weiterfahrt. Glücklicherweise haben wir einen Plan B, nämlich zwei leichte Trial-Motorräder mit an Bord, die unseren Aktionsradius erhöhen. Mit dem Genua-Fall heben wir sie aus der Vorkoje und bugsieren sie an Land. Unser erstes Ziel ist Ronas Hill, mit 480 Metern der höchste Berg der Shetlands. Den runden Giebel erklimmen wir nicht, da wir die Brutvögel nicht stören wollen, sondern biegen auf halber Höhe rechts ab. Auf eine Schotterpiste, die uns in die Freuden des Off-road-Fahrens einführt. Über Stock und Stein geht es in den Westen. In eine schöne, fremde Welt. Wassergetränkte, aufgerissene Torfböden, Wollgras, Moosteppiche und niedriges Gestrüpp. Am Ende finden wir uns auf den Klippen hoch über dem Nordatlantik wieder.
Bei erster Gelegenheit laufen wir wieder aus. Im Yellsund packt uns die Strömung, schiebt uns mit zwei Knoten zusätzlich voran. Es ist das Wasser der Nordsee, das sich hier mit enormer Kraft alle sechs Stunden seinen Weg in den Nordatlantik sucht. Und uns einen Gratis-Ritt gibt. Gratis, aber nicht ohne Preis. Was es bedeutet, mit der Strömung aus einem Sund zu ziehen, gegen die Dünung des Nordatlantiks zu fahren, ist uns bewusst. Noch ehe wir offenes Wasser erreichen, stellt sich die See steil und meterhoch auf. Kraftvolle Wellen lassen La Belle Epoque torkeln, springen und bocken. Konzentriert sitze ich am Steuer, will das Boot gut durch die See bringen. Schließlich lassen wir die letzten Felsen hinter uns, erreichen den offenen Atlantik und mit ihr den „normalen“ Seegang. Immer noch um die drei Meter hoch, immer noch eine Kreuzsee. Die lange Dünung aus Süd ist von einer hohen Restsee aus Nordwest überlagert.
Auf den Spuren der Wikinger
Am zweiten Tag entdecke ich gegen elf Uhr abends die schroffen Felsen der Färöer Inseln, verliere sie aber schnell wieder aus den Augen, da beim Einlaufen wieder einmal dichter Nebel aufkommt. Tórshavn ist nicht nur die Hauptstadt der Färöer, sondern auch eine Hauptstadt der Seeleute. Mit zum Bersten gefüllten Häfen und einer großen Werft mitten im Stadtzentrum. Mit großen Hochseekuttern, Fähranlegern, an denen niemals Ruhe einkehrt, und Schleppern.
Für die Weiterfahrt nutzen wir die Gezeitenströmung. Die Segel hängen schlaff an den Masten, kaum eine Brise ist zu spüren. Wie von Geisterhand treibt La Belle Epoque an den Inseln Hestur und Koltur vorüber. Am Steg von Vestmanna holen wir erneut die Motorräder aus der Kabine. Die Färöer Inseln bestechen mit ihrer Urtümlichkeit. Sie sind baumlos und von Canyons zerklüftet, die Felsen mit weichem Moos und Gräsern überwuchert.