Angriff mit Ansage
Vendée Globe. Ein Teil des Feldes hat bereits die Hälfte der Strecke geschafft, in Führung liegt mit Charlie Dalin einer der ganz großen Favoriten
Seit November ist die Vendée-Flotte auf dem Weg um die Welt und eines kann man jetzt schon sagen: Um ein Demolition Derby handelt es sich diesmal nicht. Bei der letzten Auflage 2020/21 gab es bereits in den ersten Wochen nach dem Start sechs Ausfälle zu verzeichnen (insgesamt waren es dann acht von ursprünglich 33 Teilnehmern), diesmal hat es bis dato nur zwei erwischt. Der bedauernswerte Maxime Sorel fasste mit Bruch vom Fallenschloss des Großsegels sowie Knöchelverletzung gleich doppeltes Ungemach aus, er beendete das Rennen in Madeira. Kollege und Landsmann Louis Burton musste wegen eines irreparablen Problems im Rigg aufgeben, konnte sich aber aus eigener Kraft nach Kapstadt verholen.
Der Rest – sechs Frauen und 32 Männer – ist nach wie vor unterwegs, wobei sich das Feld enorm auseinandergezogen hat: Deutlich über 6.000 Seemeilen (!) lagen nach etwas mehr als einem Monat Fahrzeit zwischen dem Erst- und Letztplatzierten. Das weit abgeschlagene Schlusslicht bildet (wenig überraschend) der Ungar Szabolcs Weöres, ebenso den Erwartungen entspricht der Mann an der Spitze, Charlie Dalin, der zum allerengsten Favoritenkreis zählt. Dalin war bei der letzten Vendée als Erster über die Ziellinie gegangen, musste den Sieg dann aber an Yannick Bestaven abtreten. Dieser hatte eine Zeitgutschrift für seine Beteiligung an der Rettungsaktion des schiffbrüchigen Kevin Escoffier erhalten und sich damit rechnerisch Platz eins gesichert. Dalin brannte darauf, sich diesmal zum alleinigen Champion zu küren, und derzeit sieht es so aus, als ob ihm das gelingen könnte.
Knackpunkt im bisherigen Rennverlauf war eine strategische Entscheidung, die es im Southern Ocean rund um ein brutales Tiefdruckgebiet zu treffen galt. Laut Prognose sollte es über zehn Meter hohe Wellen und Wind bis zu 80 Knoten bringen, was einen Teil der Spitzengruppe zu einer Art Flucht in den Norden veranlasste. Charlie Dalin hingegen wich dem Tief nicht aus, sondern behielt seinen südlichen Kurs nahe der Eisgrenze bei, nahm also in diesem Abschnitt eine direktere, deutlich kürzere, aber auch gefährlichere Route als die Konkurrenten auf der Abbiegespur. Tatsächlich gelang es ihm dank hoher Geschwindigkeit vor dem Auge des Sturms zu bleiben und damit dem Schlimmsten zu entgehen – sein riskantes Spiel wurde belohnt. Dalin führt nun die Flotte an, zudem pulverisierte er einen Vendée-Rekord. Er benötigte lediglich neun Tage für die 4.500 Meilen lange Strecke vom Kap der Guten Hoffnung zum Kap Leeuwin (= Südwest-Spitze Australiens) und blieb damit um rund neun Stunden unter der bisherigen Bestzeit, die Michel Desjoyeaux 2008 aufgestellt hatte. „Es hat Spaß gemacht, gegen dieses Monster zu segeln“, gab er zu Protokoll – gemeint ist der Sturm, nicht der virtuelle Gegner Desjoyeaux – und verglich sich selbst mit einem Pferd, das Scheuklappen trägt, sprich weder nach links noch rechts, sondern nur nach vorne schaut.
Pleiten, Pech und Pannen
Deutlich weniger Spaß hatte sein unmittelbarer Widersacher Sébastien Simon, der in etwa gleich auf mit ihm lag und ebenfalls auf Kurs Süd setzte. Doch er segelte etwas langsamer als Dalin, wurde daher stärker in die Front gezogen und war dadurch mit härteren Bedingungen konfrontiert.