Froh auf dem Nil

Wer an Bord einer traditionellen Dahabiya eincheckt, entgeht dem Massentourismus, der für diese Region typisch ist, und kann Kultur, Land und Leute aus individueller Perspektive entdecken

Froh auf dem Nil

Der Nil ist 6.650 Kilometer lang, die Lebensader Ägyptens – und die Wiege des Pauschaltourismus. Im Jahr 1869 organisierte der britische Wanderprediger Thomas Cook eine Gruppenreise nach Ägypten und fuhr mit 32 Teilnehmern auf zwei Dampfschiffen von Kairo nach Assuan. Anreise, Verpflegung, Sightseeing, kundiger Guide, all das war in dem von ihm veranschlagten Gesamtpreis enthalten und damit das All-inclusive-Arrangement geboren. Bis heute erfreut es sich großer Beliebtheit, bevorzugtes Fortbewegungsmittel der Nil-Touristen sind allerdings nicht mehr die gemächlichen Raddampfer, sondern moderne Kreuzfahrtschiffe, die jeweils weit mehr als hundert Gäste fassen. Ehe die Corona-Pandemie den Tourismus auch in dieser Region so gut wie zum Erliegen brachte, waren rund 300 Stück davon unterwegs, vornehmlich zwischen Luxor und Assuan. Gesichtslose Kästen mit Swimmingpool, Fitnessraum, Diskothek, Restaurant und sonstigen Zerstreuungsmöglichkeiten, die ihre Passagiere im Rudel an immer denselben Zwischenzielen ausspucken und des Nachts dicht an dicht gedrängt, lärmend und stinkend an immer denselben Plätzen liegen.

Die 35 Meter lange Dahabiya Abundance (= Fülle, Überfluss) von Johanna Marius und Mohammed Morsy (siehe auch Kasten) ist der Gegenentwurf zu diesem Konzept der Massenabfertigung. Maximal zehn Gäste finden in fünf Kabinen Platz, sie ist geschmackvoll ausgestattet und liebevoll dekoriert. Und mit zwei Riggs und einer Segelfläche von insgesamt 260 Quadratmetern versehen, sodass die Reisenden die saubere Kraft des Windes nutzen können. Dahabiyas sind in Ägypten seit Jahrtausenden gebräuchlich und so finden sich auf so manch antikem Grabmal Abbildungen, die an die Abundance erinnern. Heute wird mit diesen Schiffen primär ein internationales Klientel bedient, das den Nil bereisen möchte, aber größten Wert auf Individualität und Privatheit legt. Da eine Dahabiya im Unterschied zum Kreuzfahrtschiff weder Pier noch Hafen braucht, kann sie an jedem beliebigen Uferabschnitt festmachen; damit entgehen ihre Passagiere verlässlich dem Gedränge in den touristischen Hot Spots. Und ihre vergleichsweise gemächliche Fortbewegung ist kein Nachteil, sondern eine wahre Wohltat. Der Blick kann in Ruhe über die vorbeiziehende Landschaft schweifen, die Seele mit dem Tempo Schritt halten. Die Nähe zum Wasser vermittelt das Gefühl, mittendrin statt nur dabei zu sein. Anders gesagt: Entspannter lässt sich der Nil nicht entdecken.

Ausschließlich Handarbeit

Esna liegt zwischen Arabischer und Libyscher Wüste, rund 55 Kilometer südlich von Luxor und markiert den Startplatz unserer Reise. Am Pier der 70.000-Einwohner-Stadt reihen sich unter der Morgensonne längsseits mehrere Dahabiyas, die Abundance sieht mit ihrem blank polierten Holzdeck, dem blendend weißen Rumpf und den farblich abgestimmten Textilien besonders einladend aus. Eine achtköpfige Crew kümmert sich um Boot und Gäste, wir werden mit frischem Mango- und Guavensaft begrüßt, beziehen unsere Kabinen und sind gespannt auf alles, was nun kommen mag. Das Schiff hat keinen Motor, daher muss ein Schleppboot beim Ablegen helfen. Doch kaum sind wir auf Kurs, lässt Kapitän Mohammed beide Segel setzen. Seine Männer haben alle Hände voll zu tun, ihre Gallabijas, das traditionelle, an eine Tunika erinnernde Gewand der ägyptischen Landbevölkerung, flattern ebenso im Wind wie die dreieckigen, an drehbaren Rahen angeschlagenen Tücher. Rasch hat die Crew alles unter Kontrolle und wir bewegen uns zügig Richtung Süden. Gesteuert wird mit einer massiven Pinne, die sich über ein Seilzugsystem bedienen lässt, die Strömung trägt das ihre zum Vorankommen bei.
Zeit zum Entspannen. Es gibt jede Menge gemütliche Plätzchen an Bord: die gestreifte Hängematte, die unter dem Sonnendach schaukelt, Liegestühle und -betten mit direktem Blick in das Segel, bequeme Korbsessel, eine ausladende Lounge-Garnitur und dicke Bodenkissen, die sich um einen orientalischen Teppich gruppieren. Jedes Tablett, jede Deko wurde von der deutschen Chefin persönlich arrangiert und zeugt von Geschmack. Die Mahlzeiten nehmen wir an einem großen Tisch ein, an dem alle Gäste Platz finden. Auf der Abundance wird stets frisch gekocht, hat Johanna Marius bei unserem im Vorfeld geführten Gespräch betont, Tiefkühl-Fleisch und Dosen-Gemüse sind verpönt, Kapitän Mohammed geht täglich auf den Markt, um den Einkauf zu erledigen. Deshalb, so Marius, bräuchten ihre Gäste auch nicht die unter Touristen weit verbreiten Verdauungsprobleme fürchten. „Bei uns an Bord ist noch nie jemand krank geworden“, versichert die gebürtige Münchnerin nicht ohne Stolz.

Tatsächlich schmeckt alles, was uns auf der Abundance serviert wird, großartig. Ein spezieller Genuss sind die würzigen Mezze, wie die Vorspeisen der arabischen Küche genannt werden, die uns in ihrer Vielfalt jeden Tag aufs Neue entzücken. Wasser, Tee und Nescafé sind ebenso wie die gesamte Verpflegung im Charterpreis inkludiert, andere Getränke werden separat, aber fair kalkuliert verrechnet.

Der erste Tag vergeht wie im Flug, um 16 Uhr haben wir unser Ziel, eine langgestreckte Insel mitten im Nil, erreicht. Drei Männer klettern hurtig in den Mast, um die Segel zu bergen, aufzutuchen und festzuzurren, dann zieht uns das Begleitboot längsseits zum Ufer. Ein Crewmitglied balanciert über eine schmale Planke an Land, treibt mit einem mächtigen Hammer lange Nägel in die trockene Erde und macht die Abundance daran mit mehreren Belegleinen fest. Zu guter Letzt wird als Abstandshalter ein Balken im rechten Winkel zum Schiff befestigt und eine breite Passarella ausgebracht, über die wir Gäste bequem von Bord gehen können. Simpel und funktionell.

Auf den Spuren der Antike

So gut wie alle Tempel in Oberägypten sind aus dem Sandstein von Gebel es-Silsila erbaut. Auf Bestellung wurden Quader in unterschiedlichen Größen aus dem Fels gehauen, die Spuren der Werkzeuge sind heute noch zu sehen, ebenso die Tempelanlagen, in denen die Arbeiter beteten, und die Felsgräber, in denen man sie bestattete.

Den gesamten Reisebericht lesen Sie in der Yachtrevue 3/2021, am Kiosk ab 5. März!

Der komplette Bericht als PDF-Download:

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