Zwischen gestern und morgen
Ob Rundblick vom Gipfel oder Grundblick unter die Meeresoberfläche – auf einem Segeltörn ab Murter kann man der wechselhaften Geschichte der zerklüfteten Inselwelt Dalmatiens nachspüren
Es ist, wie es ist – also auf zur Insel Ist. 24 Stunden lang sind wir nach unserem Nass- und Kaltstart aus der Marina Betina auf Murter bei waagrechtem Dauerregen in diversen Cafés und Konobas der allseits beliebten Metropole Zadar gehockt. Einige von uns haben sogar unfreiwillig auf den spiegelglatten Straßensteinen der Altstadt Platz genommen. Doch jetzt verziehen sich die Unwetter langsam und wir können endlich die Leinen lösen.
Wieder auf See beschließen wir, in der weitläufigen Südbucht von Ist unterhalb des kleinen Klosters zu ankern und an Bord zu kochen. Wir verzichten auf den Landgang, obwohl wir in der 180-Seelen-Gemeinde quasi Heimatboden betreten würden. Der Uferweg ist nämlich im 19. Jahrhundert erbaut worden, als Ist noch Ost hieß und zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehörte.
Nachdem wir alle brav aufgegessen haben, dreht sich das Wetter endgültig zu unseren Gunsten: Ein herrlicher Segeltag kreuz und quer durch die unbewohnten Inseln rund um Ist entschädigt uns für den holprigen Törnbeginn. An Bord der beiden baugleichen Bavaria Cruiser 40s aus der Pitter-Flotte kommt Regatta-Feeling auf, als Bahnmarken dienen uns die Felsen Funestrala, Galiola und Duzac. Unsere Jasmin wird hervorragende Zweite, die Allegro muss sich leider mit dem vorletzten Platz begnügen. In den Pausen finden keine Protestverhandlungen, sondern Badestopps in den Buchten der Inseln Tramerka und Škarda statt.
Auf Škarda stehen zwar ein paar Häuser, doch selbst im Hochsommer verirren sich nur die Nachkommen der ehemaligen Einwohner sowie eine Handvoll Touristen hierher. Was aussieht wie eine Festung – übrigens mit Kanone –, ist ein ehemaliges Herrenhaus, das ab und zu als Grillrestaurant geöffnet haben soll. Wann, weiß keiner. Eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, die Fährverbindung nach Škarda wieder aufleben zu lassen, verlief im Sand. Oder besser gesagt im Karst.
Erschöpft von den schlussendlich ausgeglichenen Wettfahrten, gehen wir im Hafen der Insel Olib an die Außenmole und ergattern zwei der 15 Murings. Sofort werden wir von einem Fischer vor dem ansatzlosen und unberechenbaren Weststurm Nevera gewarnt, doch wir bleiben verschont.
Unser Quotenburgenländer unterhält sich einstweilen mit ebendiesem Fischer in einer undefinierbaren Sprache. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um den südslawischen Dialekt Čakavisch handelt, der nicht nur von den knapp 140 Bewohnern auf Olib, sondern auch in einigen Gemeinden im Südburgenland gesprochen wird. Sachen gibt’s.
Im 15. Jahrhundert flohen zahlreiche Menschen aus der südkroatischen Festland-Stadt Vrlika vor den Osmanen und landeten schließlich auf Olib. Diese Flüchtlinge wurden in Folge immer wieder von Piraten aus Senj überfallen, weshalb sie einen Wehrturm errichteten, der bis heute vollständig erhalten ist. In den 1920er Jahren lebten hier über 2.000 Menschen von Wein und Oliven. Dann kam die Reblaus – damals ein unbezwingbarer Feind. Jetzt reichte es endgültig: Fast alle wanderten in die Vereinigten Staaten aus. Nur die Alten blieben. Ein paar Nachfahren der der Auswanderer kamen zurück, um hier ihren Lebensabend zu verbringen. Im Hochsommer werden sie nicht selten von ihren Enkeln und Großenkeln besucht. Dann wird hier weder Čakavisch noch Kroatisch, sondern American English gesprochen.
Für jene, die sich durch die Macchia auf den nicht einmal hundert Meter hohen Berg Kalac durchschlagen, wird die Geschichte der Insel greifbar: Reste von Steinmauern und Häusern, verwilderte Weingärten, trotzige Steineichen, knorrig verwachsene Olivenbäume – viele davon älter als der älteste Inselbewohner Jarko, der im Mai seinen hundertsten Geburtstag feiert. Einmal in der Woche geht er auf den Berg um Kräuter zu sammeln. „Für Medizin?“, frage ich. „Nein, für Schnaps“, lacht der Uropa aus New Jersey. „Das schmeckt besser und hält jung.“ Von hier oben erkennt man auch die Untiefen, die das Ankern in der Doppelbucht Slatina im Osten der Insel riskant machen. Ein fulminantes Sepia-Risotto in der Konoba Bočvica direkt am Westhafen beschließt einen lehrreichen Tag.
Wie Perlen auf der Schnur
Carpe diem, nütze den Tag. Die Botschaft begrüßt uns als Graffiti an der Kaimauer der Römer-Insel Silba. Gern gesehen ist man im westlichen Hafen Žalić nicht gerade. Ein Uniformierter – mehr Briefträger als Polizist – verweist uns freundlich auf Luka Silba an der Ostseite der Insel. 500 Meter Luftlinie, aber etwa sechs Meilen per Schiff. Auch auf Silba lebten einst fast 2.000 Menschen; jetzt sind es gerade einmal 300. Hier ist mehr los als auf der Zwillingsinsel Olib, obwohl es kein Auto, nicht einmal ein Moped gibt. Im Sommer sind sogar Fahrräder verboten.