Gefährliche Schönheit
Die Österreicher Claudia und Jürgen Kirchberger, die seit zehn Jahren auf eigenem Kiel unterwegs sind, segelten über die berüchtigte Drakestraße in die Antarktis und erschlossen sich eine faszinierende Welt voller Gegensätze
Wir schreiben den siebenten Dezember und die Saison für die Antarktis hat eigentlich noch nicht begonnen. Dennoch sind wir genau dorthin unterwegs, aufgebrochen zu einer Reise über die riskante Passage zwischen Atlantik, Pazifik und dem antarktischen Ozean – die Drakestraße südlich von Kap Hoorn.
Hoch am Wind halten wir mit Kurs Süd-Südwest gegen eine leichte ostsetzende Strömung; so können wir später, wenn uns die stürmischen Westwinde der „Furiosen Sechziger“ erreichen, ein wenig abfallen. Der Himmel hat sich zugezogen, anrollende Regenböen bringen schlechte Sicht bei sehr rauer See mit Wellen zwischen vier und fünf Metern Höhe. Mit jeder Seemeile in den Süden wird es kälter, doch um Treibstoff zu sparen bleibt der Dieselofen ausgestellt. Bald laufen wir wie die Micheline-Männchen herum: lange Unterwäsche, Fleecekleidung und isolierte Overalls, Fäustlinge über Handschuhe, Fellhauben, zwei Paar Socken und isolierte Gummistiefel.
Aus dem Regen wird Hagel, West-Nordwest-Wind treibt uns mit sechs Beaufort voran. Das Meer ist dunkelgrau und abweisend. Doch wir dürfen uns nicht beklagen, zumindest bleibt der angekündigte Starkwind aus und wir kommen gut voran. Am Morgen des dritten Tages freuen wir uns über vier Beaufort und strahlenden Sonnenschein. Die See hat sich ein wenig beruhigt, Kap Hoorn liegt längst hinter uns. Doch das Schönwetter-Zwischenspiel ist kurz und das nächste Sturmtief bereits im Anzug. Der Barograph stürzt auf beängstigende 965 Hektopascal ab, Tendenz weiter fallend. Schneefall setzt ein, die Temperaturen liegen unter Null. Aus Dunst wird dichter Nebel, die See grob. Zum Glück hilft das Radar, Eisberge rechtzeitig zu erkennen. Die Rückseite des Tiefs bringt stürmischen Gegenwind, beigedreht warten wir auf neue Wetterberichte und bessere Segelbedingungen. Aufmerksam Wache gehen müssen wir dennoch – gigantische Eisberge treiben langsam nach Nordosten.
Mittlerweile wird es nachts nicht mehr dunkel. Als der Himmel aufklart, verschwindet die Sonne für nicht mehr als zwei, drei Stunden hinter den Gipfeln einer Bergkette. Die kalte Welt wird in warmes Licht getaucht, der Himmel leuchtet in Gelb und Orange, während die schneeverwehten Berge zartrosa scheinen. Welch wunderschöner Anblick.
Langsam nimmt die Gruppe der Melchior-Inseln am Bug voraus Gestalt an. Einige Wale ziehen an La Belle Epoque vorüber, auch sie haben vermutlich eine lange Reise hinter sich. Vorsichtig suchen wir zwischen Untiefen und Eisbergen einen Weg. Die elektronischen Seekarten sind ungenau und etwas versetzt, als ausgesprochen hilfreich erweisen sich hingegen die Skizzen von befreundeten Seglern, die es uns ermöglichen eine gute Ankerbucht zu finden. Um fünf Uhr morgens rauscht der Anker aus. Obwohl wir müde und zerschlagen sind, stellt sich feierliche Stimmung an Bord ein. Wir holen eine Flasche Wein, Oliven und Brot aus der Pantry und machen es uns im Cockpit gemütlich. „Wer aus Lust zur See fährt, fährt aus Laune zur Hölle“, behaupteten einst die alten Seefahrer. Wir haben die Hölle unbeschadet überquert und das Ziel unserer Träume erreicht: die Antarktis.
Bedrohung von oben
An kaum einem anderen Ort liegen Harmonie und Gefahr so eng beisammen wie hier. Auch unser Ankerplatz ist gleichermaßen friedlich wie beängstigend: Gletscherwände, an deren Abbruchkanten große Eisbrocken hängen, thronen hoch über der Bucht. Fallen sie von dort ins Wasser, entsteht eine Flutwelle, die eine vor Anker liegende Yachten überrollt oder ihre Landleinen brechen lässt. Flucht vor der stillen Bedrohung ist zwecklos: Entlang der antarktischen Halbinsel gibt es praktisch keinen Ankerplatz ohne meterhohe Eiswände und Schneemassen, die jederzeit abstürzen können.
Nach langem, traumlosem Schlaf fühlen wir uns für einen Landgang gerüstet und stapfen bald über die etwa 10 km2 große, unbewohnte Omegainsel. Mannshoch türmt sich der Schnee, immer wieder brechen wir fast bis zu unseren Hüften in die hell reflektierende Decke ein. Längst haben wir uns daran gewöhnt, stets Sonnenbrillen zu tragen. Die Sommersonne der südlichen Hemisphäre ist gnadenlos, auch wenn sie von Wolken verdeckt wird. Plötzlich gibt die Insel den Blick bis zum Festland der Antarktis frei.