Kap der Guten Schwingung
Jürgen Preusser entdeckte die portugiesische Algarve von einer neuen Seite und erlebte ein fulminantes Törn-Abenteuer im tiefsten Südwesten Europas
Nein, Techno-Disco-Funk passt nicht zu dieser Landschaft. Vielleicht Beethoven, wo siebzig Meter hohe Felswände die Atlantikwellen überragen. Vielleicht Vivaldi, wo ockerfarbene Sandstrände aus Pinienwäldern zu fließen scheinen. Vielleicht Tschaikowsky, wo eisblaue Brandungswellen mit der lindgrünen Flussmündung spielen. Vielleicht Freddy Mercury, wo moderne, farbenfrohe Häfen neben mittelalterlichen Festungen gedeihen. Vielleicht Deep Purple, wo sich Rauchwolken aus Gischt über die aufgebrachte See legen.
Smoke on the Water – okay. Aber bitte nicht Tecno-Disco-Funk. Wenn es etwas zu bekritteln gibt an diesem außergewöhnlichen Revier, dann ist es die akustische Umweltverschmutzung, die von den so genannten Partymeilen in Lagos, Albufeira, Vilamoura oder Portimão auf Land und Wasser quillt. Dort findet man auch die modernen Hotelburgen, vor denen man mich gewarnt hat: Feriensiedlungen, groß und wuchtig wie der Bezirk einer Großstadt, im Sommer knallvoll, zu allen anderen Jahreszeiten spärlich bis gar nicht bewohnt. Manche einladend geschmackvoll, andere entsetzlich abstoßend.
Vor fünfzig Jahren gehörten diese Bauten ins Reich der Utopie, das Land war arm, die Buchten und Strände gehörten bestenfalls den Hippies, die in schrottreifen, aber bunt bemalten VW-Bussen die exotische Region am Südwestzipfel Europas eroberten. Unvorstellbar heute? Keineswegs, denn die Ballermannschaften quetschen sich lediglich durch jene paar Gassen, die für sie reserviert zu sein scheinen. Angelsachsen, deren Hautfarbe an gekochten Hummer erinnert. Teutonen mit ihren Tattoo-Artefakten an den Oberarmen und gewaltigen Bierbäuchen, die bisweilen ganze Straßenzüge lahmlegen. Wirklich verstopft sind die antiken Stadtzentren nur in jenen Wochen, in denen die Briten Sommerferien haben. Die Tourismus-Festungen verschandeln lediglich wenige Meilen der Algarve und neben den Junk-Discos, die das Pendent zum alpinen Jagatee-Hüttenzauber bilden, finden sich durchaus auch Bars, in denen hervorragende Live-Musik geboten wird.
Als Segler ist man von all dem Treiben aber ohnehin kaum betroffen. Entlang der Küste hat man zwei Optionen: Man entzieht sich der zweifelhaften Optik, indem man im Salon einen Salat zubereitet. Oder man lässt sich auf eine architektonische Diskussion ein. In beiden Fällen braucht es nur ein paar Minuten, bis die umstrittenen Meisterwerke menschlicher Hotelbaukunst wieder von atemberaubenden Kunstwerken der Natur abgelöst werden. Zerfurchte Sandsteinwände, die zu jeder Tageszeit in anderen Farben leuchten. Geheimnisvolle Höhlen, die Touristenboote zu verschlucken scheinen. Spektakuläre Felsnadeln, die in der Seekarte als Untiefen aufscheinen. Steinformationen, so abwechslungsreich wie jene Gebilde, die zu Neujahr aus Blei oder Wachs gegossen werden. Bei deren Deutung sind der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt: Hier das faltige Gesicht eines alten Piraten, da ein goldener Adler mit ausgebreiteten Schwingen, hier die Mähne eines Löwen, da ein Krokodil mit aufgerissenem Maul. Zeitzeugen aus Gestein.
Dann lenken echte Tiere von diesen Fabelwesen ab: Tausende Möwen, größer als ihre adriatischen Verwandten, umschwirren einen einzigen Fischkutter. Ein Schwarm fliegender Fische schüttelt gefährliche Verfolger ab. Und natürlich Delfine. An jedem einzelnen der sieben Törn-Tage werden wir von ihnen begleitet. Sie kommen alleine, zu zweit, in kleinen Gruppen oder in riesigen Schulen. Wir sehen Mütter mit ihren Jungen, die vom Surfen an der Bugwelle unserer Yacht nicht genug bekommen können. Und abgeklärte Giganten ihrer Spezies, von der Größe her eher Wal als Delfin, die nur kurz vorbeischauen, bei einem spektakulären Sprung ihren rosafarbenen Bauch herzeigen und wieder verschwinden.
Am Cabo da São Vicente gesellt sich eine Gruppe von zwanzig Prachtexemplaren zu uns und begleitet uns an die Westküste Portugals. Mit einer Leichtigkeit, die auch der talentierteste Segler niemals erreichen wird, geben sie uns zu verstehen, dass sie hier daheim sind und der Mensch immer nur geduldeter Gast bleiben wird. Offenbar aber auch ein gern gesehener, denn die Delfine bleiben fast eine Stunde lang in unserer Nähe. Erst als wir versuchen, in einer der unzähligen nach Westen offenen Buchten zu ankern, verlassen sie uns. Mit diesem Unfug wollen sie nichts zu tun haben. Zu Recht; nach wenigen Minuten müssen wir unsere ambitionierten Versuche abbrechen …
Wucht der Wellen
Man soll eben auf die Einheimischen hören. Zwischen Cabo da São Vicente und Lissabon gibt es nur ganz wenige sichere Liegeplätze. Die Atlantikwelle erzeugt auch ohne Wind eine Brandung, die jede Yacht überfordert. Da kann der Grund noch so sandig sein. Der Anker mag bei Windstille zwar halten und man wird nicht am Felsen zerschellen. Doch selbst einer, der im schlimmsten Sturm nicht seekrank ist, wird hier, bei null Beaufort, innerhalb von wenigen Minuten von Übelkeit überwältigt.
Wer sich mit einer Segelyacht den Stränden nähern und die felsigen Kaps ergründen will, braucht ein stabiles Gleichgewichtsorgan sowie ein gutes Fernglas, denn allzu nahe sollte man den brechenden Wellenkämmen nicht kommen. Untiefen sorgen dafür, dass man die Schönheit mancher Bucht nur erahnen kann. Es ist kein Zufall, dass die Surfer dieses Revier für sich beanspruchen. Und zwar jene ohne Mast und Segel.