Magisches Myanmar
Der Mergui Archipel vor der Südküste des ehemaligen Burmas ist einer der letzten weißen Flecken auf der Landkarte der touristischen Ziele
Rhythmisch bewegt sich die Raya Laut in den Wellen, ich stehe am Bug des Zweimasters und kann den Blick ungehindert schweifen lassen. Schroffe, dicht bewaldete Hügel wachsen aus der Andamanensee, verteilen sich auf ihrem gedeckten Taubenblau wie zufällig verstreute Murmeln. Etwa 800 Inseln zählt der Mergui Archipel, jede einzelne scheint eine Verheißung. Blendend weiße Sandstrände durchbrechen in fein ziselierten Bögen den bis zu den Ufern reichenden tropischen Regenwald; wer sie betreten darf, hinterlässt als erster seine Spuren. Nichts, was von Menschenhand geschaffen wurde, durchbricht die eigenwillige Komposition der Natur, bis zum Horizont ist kein anderes Schiff zu sehen. Ich halte mein Gesicht in den warmen Wind, atme die salzige Luft und versuche mir die unwirkliche Szenerie einzuprägen. Vergessen sind die anstrengende Anreise und die mühseligen Einreiseformalitäten. War es tatsächlich erst gestern, dass uns ein Longboat mit ohrenbetäubend knatterndem Motor vom quirligen Hafenviertel des thailändischen Grenzstädtchens Ranong über den breiten Fluss Pakchan nach Kawthaung, Myanmar gebracht hat? Der Trubel am Markt, die fremden Gerüche, die uns übermüdeten Gestalten allzu intensiv in die Nase stiegen, der Wolkenbruch, der uns daran hinderte mit dem Dingi zur Raya Laut überzusetzen, der widerliche Müllteppich auf dem Pakchan – alles Vergangenheit. Das Hier und Jetzt ist von einem Gegenentwurf zu Schmutz, Lärm und Gedränge bestimmt. Wir sind exklusive Gäste in einem Archipel, der sich als 300 Kilometer langes Band von Nord nach Süd erstreckt und so gut wie unerschlossen ist. Nur eine Handvoll der Inseln ist bewohnt. Ein einziges Resort, das Myanmar Andaman auf Macleod, bietet Unterkunft, es gibt weder Charterbasen noch maritime Infrastruktur. Der Mergui ist touristisches Niemandsland, denn Myanmar stand ein halbes Jahrhundert lang unter Militärherrschaft und war für Ausländer gesperrt. Erst vor wenigen Jahren haben ein Demokratisierungsprozess und damit eine Öffnung nach außen eingesetzt.
An der Schwelle
Seither steigen die Besucherzahlen steil und stetig. 2012 verzeichnet man eine Million, 2014 bereits mehr als drei Millionen Reisende in Myanmar. Sie konzentrieren sich vor allem auf die kulturellen Hauptattraktionen im Landesinneren; in die stille Abgeschiedenheit des Mergui-Archipels vor der Südküste verirren sich nur wenige. Noch. Internationale Unternehmen, die das ändern und daran verdienen wollen, stehen bereits Schlange. Bis dato wurden der Myanmar Investment Commission, einer Regierungsbehörde, die den Zugang ausländischer Investoren zum myanmarischen Markt regulieren soll, 30 Hotelvorhaben in der Region vorgelegt, darunter ein 1,2 Milliarden Dollar schweres Projekt auf der Insel Salon Kyun, das Luxusresort, Spielcasino, Marina mit Anlegestelle für Wasserflugzeuge sowie Golfplatz vorsieht. 13 der Ansuchen wurden im Mai 2015 bewilligt. Ob und wie zeitnah sie tatsächlich umgesetzt werden, steht auf einem anderen Blatt, denn die Hürden der Bürokratie sowie die politische Unsicherheit im Land sind nach wie vor hoch. Doch die Uhr tickt, das ist keine Frage. Wer die Inseln des Mergui-Archipels in ihrer ganzen Schönheit und Ursprünglichkeit erleben will, muss bald aufbrechen. Schon jetzt hat die Zivilisation ihre Zeichen hinterlassen. Zeichen der schlimmen Sorte: Selbst auf den entlegensten Stränden findet sich Plastikmüll, angeschwemmt von irgendwoher; das mussten wir bei unserem ersten Zwischenstopp heute geschockt mit eigenen Augen zur Kenntnis nehmen. Die Kunststoff-Flasche als teuflischer Bote der Zukunft.
Aufgeregte Stimmen reißen mich aus meinen Gedanken. An der Schleppangel hat eine mächtige Königsmakrele angebissen, unser Skipper Nicholas, ein Südafrikaner mit wuscheligem Blondschopf, macht ihm mit Hilfe eines Crewmitglieds den Garaus. Ben, der gewichtige, immer zu Späßen aufgelegte Koch aus Malaysien, überwacht das Geschehen und grinst dabei von einem Ohr zum anderen. Am Abend wird er uns den Fang auf zweierlei Art servieren.