Zwischen den Welten
Segeltörn in den Kleinen Antillen, wo der Wind beständig aus günstiger Richtung weht und sich abgehobener Luxus ebenso findet wie das ursprüngliche Leben der Karibik
Charleston im Westen der Insel Nevis. Das Schiff schaukelt an krummen Pfählen. Die Pfähle wurden von Urmenschen vor Urzeiten in den Meeresgrund getrieben. Nicht senkrecht, nur so, wie es gelingen mochte. Daran wurde weiter gebaut. Wer Bedarf hatte, befestigte Tauwerk oder Ketten daran oder montierte eine Landungsbrücke dazu. Architektur im freien Wachstum. Daneben betonierten sie einen rauen Pier für die Fähre. Die presst sich mit dem Heck daran und raucht dabei aus allen Rohren. Fahrzeuge rollen von der Ladefläche, Menschen verlassen das Schiff. Mächtig bepackt sind die meisten, einer schafft mit einer Schubkarre einen mannshohen Kühlschrank von Bord, zwei andere freuen sich über den glücklichen Landfall eines Motorrads – einer schiebt quietschend den Rahmen, der andere trägt in einer großen Tasche den Motor und andere Innereien. Schaut nach Arbeit aus, ehe das Teil über die Hügel knattern kann.
Gegen Westen, Norden und Süden ist der Platz offen. An langen Leinen schaukelt und schwoit das Schiff. Lange liegen möchtest du so nicht. Einer weiß, was dagegen getan werden kann. Auf seinen dürren Schultern klebt ein offenes Hemd, das ihm bis zu den Knien reicht. Darunter trägt er ein Kleidungsstück, das an eine Schlaghose erinnert. Hosenstall weit offen. Aus Gummisandalen ragen große, krumme Zehen. Er schlurft den Steg nach vorn und spricht eine fremde Sprache, die ein paar englische Vokabel enthält. Er meint, ich soll mich vom Steg an den Fähranleger verholen, wo Walzen aus alten LKW-Reifen zwei Meter über dem Wasser als Stoßdämpfer angebracht sind. Dazwischen ragt rostiges Eisen aus dem Beton. Dort schaukelt es weniger, sagt er. Vielen Dank, will ich eher nicht, bleibe ja nicht lange. Guter Rat, undankbar zurückgewiesen. Er spuckt einen kräftigen Strahl Speichel auf den Steg, hart an die Kante, so knapp neben das Schiff, wie’s geht. Muss man erstmal können. Eine andere Figur löst sich aus dem Gewühl am Tor zum Fährbereich. Hat eine Kapitänsmütze auf dem Kopf. Mütze startet auf den Steg, Gummisandale dreht seewärts ab. Mütze flucht Sandale hinterher und sagt mir auch gleich die Meinung. Im Mund unter der Mütze stecken drei braune Zähne, die Augen sind glasig, trüb und blutunterlaufen. Bin kein Arzt, aber das schaut nicht gut aus. Die Sprache ist englischer Lückentext. In die Lücken muss man sich etwas Sinnvolles reindenken.
Meine Interpretation: Der Kunstspucker ist ein amtsbekannter Idiot, dem man unter keinen Umständen aber auch schon gar nichts glauben darf. Einzig relevant und der Chef in diesem Hafen ist nämlich er, die Mütze. Hier liegen geht nicht, da drüben schon gar nicht und ich muss auf die Reede raus, eigentlich. Dann hört sich der Chef an, dass ich nicht lange bleiben will und meine Leute nur schnell einkaufen sind und dass ich es super finde, wie er seinen Job macht, und ob in seinem Hafen immer so toll viel zu tun ist. Ja, mächtig viel zu tun, er muss auch schon wieder. Bier will er keins, den Schein auch nicht. Offizielle wie er nehmen nichts.
Der Fischer läuft ein. Auf einem Kahn der Fahrtbereichsklasse Null. Zwei Spannen Freibord, der Motor nur spärlich verkleidet und aus der Zeit der Punischen Kriege. Pelikan als Gallionsfigur. In der Einfahrt haut der Mann auf einen Hebel, der Diesel kotzt eine letzte Qualmwolke aufs Wasser und kommt wackelnd zur Ruhe. Mit einem Bein schiebt der Fischer die Pinne zur Seite, der Kahn legt sich im Gleitflug sanft an den Steg. Der Pelikan hat genug von dem Betrieb, pfeffert einen grauen Schmatz Stoffwechselprodukt auf das Brett am Bug und schwingt sich auf den nächsten Telegrafenmast. „Mahi Mahi“, sagt der Fischer und stemmt einen grünen, fetten Fisch an der Schwanzflosse in die Höhe. Den Fisch soll ich kaufen. Würde ich gern, ist ein schöner Fisch, aber was soll ich mit einem dreiviertel Meter Mahi Mahi für eine Crew von drei Erwachsenen und zwei kleinen Kindern? Obwohl die Kids mit gutem Appetit gesegnet sind. Also leider nein. Der Fischer zieht mit dem Mahi Mahi landwärts. Eine Viertelstunde später kommen zwei Kerle mit demselben Fisch zurück. Nein, will ihn immer noch nicht kaufen, „only three persons“. Die Kinder unterschlage ich. Die Jungs zeigen Verständnis, wuchten den Fisch in ein bunt bemaltes Boot mit Außenbordergeschwür und rauschen mit hundert Knoten aus dem Hafen. Das Schiff schaukelt an den Pfählen. Schöne Turnübung, die Fender zwischen Bauwerk und Schiff zu halten. Dann kommt die Crew. Zwei Säcke pflückfrische Mangos, 10 EC-Dollar. Kann man nehmen.
Der Präzisionsspuckkünstler schlurft wieder heran. Neues Personal am Schiff, neue Chance. Vielen Dank wofür auch immer, wir müssen jetzt weg. Nein, Zigaretten haben wir keine, auch keine Scheine, nicht für diesen Zweck, haben andere Sozialprogramme. Das Bier nimmt er und beißt den Kronenkorken mit den Zähnen auf.
Mount Nevis trägt eine weiße Wolkenhaube. Die Fähre produziert eine schwarze Russwolke und orgelt Richtung Saba.
Von Reichen und Schönen
Gustavia, St. Barthelemy. Unser Schiff schaukelt an langen Leinen am Dock. Nach Nordosten ist der Hafen offen, ein wenig Schwell kriecht die Küste entlang zum Liegeplatz. Auf der Reede wäre es im Schutz von ein paar Felsen ruhiger. Aber für jeden Landgang das Dingi anwerfen? Das wiegt die Ruhe nicht auf.
Zumal häufig an Land gegangen wird. Mindestens zwei Mal am Tag auf Eis zu Natural Delights. Zum Frühstück und Espresso ins Le Select. Zum Supermarkt und zu American Gourmet für die Systemerhaltung. Und zum Window Shopping auf die Rue de la Republique.
Der Republik geht‘s gut. Juweliere, Bekleidungsunternehmen und Wine & Spirits Niederlagen halten alles bereit, was stilbewussten Reisenden abgehen könnte.