Poseidon, Hades, Zeus und Sorbas
Während des Mittelmeer-Hurrikans Sorbas hatten die meisten Wetterseiten mit uns etwas gemeinsam: Sie lagen ziemlich schief
Kiáto an der Nordseite des Peloponnes, nahe dem Kanal von Korinth. Hätte Homer seinen Helden hierher verschaukelt, so hätte sich sein Bestseller „Die Irrfahrten des Odysseus“ bestenfalls als Schlafmittel verkaufen lassen.
Drei Tage im Hafen. Der einzige (Hamster-)Einkauf erfolgt im Ölzeug. Unsere beiden Supermarkt-Helden verhindern en passant, dass ein großer Müll-Container ins Hafenbecken gewaschen wird. Sieben Heckleinen, zwei Springs, zwei Anker. Wir liegen schief, doch die Frisur hält (weil salzverkrustet). Es bleibt viel Zeit zum Surfen. Im Internet natürlich; hauptsächlich auf Wetterseiten.
Kiáto; 8–12 Knoten Grundwind; Böen bis 20 Knoten; Regen.
So die aktuelle Darstellung.
Kiáto; 35–55 Knoten Grundwind; Böen bis 70 Knoten; kein Regen, aber trotzdem viel Wasser von oben, weil Brecher über den vier Meter hohen Wellenbrecher über unsere Yacht vom Heck bis zum Bug schlagen.
So die aktuelle Realität.
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Aus Fadesse wird Ärger, aus Ärger wird Neugier. Wir versuchen die Hintergründe des kollektiven Versagens der Wetterseiten zu hinterfragen. Jeder müsste doch längst wissen, dass dieser Hurrikan zwischen Malta und Kreta ein gewaltiger Staubsauger ist und der Golf von Korinth als dessen Schlauch fungiert.
Darum unsere Einheitsfrage an alle möglichen Websites:
„Wieso liegt ihr seit Tagen derart daneben?“
Die originellste Antwort eines besonders präpotenten IT-Schnösels:
„Unsere Echtzeitberichte sind wie immer hoch aktuell und richtig. Sie werten die exakten Messdaten unzähliger Wetterstationen auf der ganzen Welt aus und mitteln diese zu einem perfekten Resultat. Wir empfehlen dir daher, Wolken, Wind und Wellen besser im Auge zu behalten.“
Hätt‘ ich das bloß früher geahnt! Blöderweise hält sich dieser unfolgsame Sorbas nicht im Geringsten an diese perfekte Prognose.
Daher meine Antwort:
„SEIDS IHR WO ANGRENNT!!!“
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Wie muss ich mir denn so eine griechische Wetterstation vorstellen? Hockt da ein altes Mutterl mit schwarzem Schal und klöppelt Spitzendecken? Ja? Und dann bemerkt sie nicht, dass der Wind ihr gekipptes Fenster zuschlägt? Ihre Ohren sind auch nicht mehr so gut, wie damals unterm Papadopoulos. Dabei war das doch erst unlängst …
Jedenfalls ruft sie die übliche Nummer an. Die hat sie auf der Rückseite des Partezettels ihrer Schwester notiert. „Gott hab‘ sie selig.“ Nach einem Melina-Mercury-Konzert sei sie einfach verschwunden. Damals während der Militär-Junta war das … „Naja, sicher ein Unfall …“
Seit damals überweist ihr irgendein Fremder nach jedem Anruf ein bisschen Geld. Nicht ihr natürlich, sondern ihrem Sohn Panagiotis. Sie selbst hat ja kein Konto, sondern nur einen Spitzenpolster, in den sie ihre Ersparnisse einnäht. Am Anfang waren das immerhin 700 Drachmen pro Anruf. „Die werf’ ich doch nicht einer Bank in den Rachen, beim Zeus!“ Jetzt sind es gerade einmal zwei Euro. „Naja, die Zeit …“
Hoch konzentriert dreht sie die Wählscheibe des schwarzen Festnetz-Apparats. Schließlich will sie nicht schon wieder mit diesem dummen Mädchen diskutieren, das immer denselben Satz in einer unverständlichen Sprache sagt. Sie presst den Bakelit-Hörer fest ans Ohr. „Fast windstill“, sagt sie. „Vielleicht acht, vielleicht zwölf Knoten.“ Und die hat es auch nur, weil ihr Mann den Kitt in den Fenstern nicht erneuert hat, ehe er vor zweiunddreißig Jahren gestorben war. „Beim Hades, das vergess‘ ich ihm nie“, sagt sie immer, wenn es zieht.
Wir werden die 8 bis 12 Knoten von Kiáto auch nie vergessen! Oder waren es doch 8 bis 12 Beaufort? „Ach, ich verwechsle auch schon alles“, würd’ sie sagen. Und in Ruhe weiterklöppeln, beim Poseidon.