Angriff aus dem Hinterhalt

Jürgen Preusser suchte bei einem Männer-Törn im Golf von Korinth nach Ruhe und unberührter Natur – und geriet unversehens in die wütenden Fänge des Mittelmeer-Hurrikans Sorbas

Angriff aus dem Hinterhalt

Fünf Männer in einem Boot. Alle höchst erholungsbedürftig – bis auf den Autor dieser Zeilen, der seine Arbeit abgöttisch liebt und daher keine Erholung braucht. Ergo muss ein besonders ruhiges Revier her. Kein Ballermann, keine beschallte Marina, akustische Umweltverschmutzung unerwünscht. Auch deshalb flüchten wir so rasch wie möglich aus der südöstlich von Piräus gelegenen Marina Alimos. Kurs: 250. Ziel: die unbewohnte Inselgruppe Diapories. „Deadly dull“, warnt uns ein Engländer. Stinklangweilig. Yeah! Nichts wie hin!

Der markante Olympische Sports Pavilion bleibt länger sichtbar als die Akropolis. Hier holten Roman Hagara und Hans Peter Steinacher 2004 im Tornado zum zweiten Mal olympisches Gold, hier durfte sich Laser-Segler Andreas Geritzer für seine Silbermedaille feiern lassen. Schöne Erinnerungen: Als Sportreporter war ich damals live dabei.

An die Schlacht von Salamis kann ich mich hingegen nicht erinnern. Der Sieg der Griechen gegen die Perser liegt fast auf den Tag 2.500 Jahre zurück. Heute liegen im Saronischen Golf unzählige Frachter und Tanker friedlich auf Reede.

Um 21 Uhr fällt der Anker in der Nordbucht von Agios Thomas, der zweitgrößten der zwölf Diaporischen Inseln. Dass es nicht stockdunkel ist, haben wir dem Fast-Vollmond und einer grell beleuchteten Fischfarm auf der benachbarten Agios Ioannis zu verdanken.
Der Engländer lag richtig: Außer absoluter Ruhe hat dieser Archipel wirklich nichts zu bieten. Am nächsten Tag brechen wir früh auf. Es ist ungewöhnlich warm. 14 Meilen bis zum Kanal von Korinth, macht drei Stunden bei dieser leichten Brise. Die tiefgrünen Nordost-Gestade des Peloponnes riechen nach Pinien und Erholung. Die Einfahrt in den Kanal ist lange nicht erkennbar.

Um 10 Uhr liegen wir längsseits am Pier der Kanalverwaltung. Gepflegt, gut organisiert, freundlich, sehr teuer: Für unsere 50-Fuß-Yacht zahlen wir 236 Euro – in eine Richtung. Das Prozedere ist rasch erklärt: Man steigt über den Willkommenshund, der neben dem Relings-Türl liegt, geht zwischen Palmen über eine Fußgängerbrücke ins moderne Büro, dreht um, weil man die Papiere vergessen hat, steigt noch zwei Mal über den Hund, lässt sich eine Rechnung geben und erfragt die Uhrzeit für die Durchfahrt. „11 Uhr. Und bitte Kanal 11 am Funk laut drehen“, sagt der Chef. Die Fahrer von zwei Kleintankwagen bieten Diesel an.

Um 10 Uhr 30 ertönt das Kommando: „Eros Helios – full speed. Now!“ Der Willkommenshund geht ab.

Zwei weiße Wimpel am Flaggenmast: Mitlaufender Strom. Ein weißer Wimpel: Gegenstrom. Blaue Flagge: Durchfahrt in diese Richtung. Rote Flagge: Gegenrichtung. Doch in Wahrheit zählt nur das Funkkommando.

Die senkrechten Sandstein-Wände leuchten im Morgenlicht in allen Farben – ein Livetime-Event. Schon nach den ersten Metern der dreieinhalb Meilen wissen wir, dass die 572 Euro für Hin- und Rückfahrt gut investiert sind. Macht 114 Euro pro Crewmitglied. „Das zahlst du für eine Konzertkarte vom XY auch“, sagt einer. Welcher XY hier beleidigt wurde, will ich an dieser Stelle nicht preisgeben.
11.000 Schiffe passieren den Kanal pro Jahr. 30 pro Tag. Der Motocross-Fahrer Robbie Maddison ist 2010 mit seiner Maschine sogar drübergesprungen. Für die Großschifffahrt ist er mit 24,6 Metern Breite nicht mehr von Bedeutung, für Yachten und Fähren spielt das Bauwerk mit seinen fünf Brücken aber nach wie vor eine wichtige Rolle.

1881 wurde mit dem Bau begonnen. Fünf Jahre zuvor hatte Alfred Nobel die Sprenggelatine entwickelt, Dynamit gab es erst seit 15 Jahren. Zwei Ungarn waren Bauleiter, Bürger der Österreichisch-Ungarischen Monarchie also. Zum Glück haben wir keinen Monarchisten an Bord, der neben dem Doppeladler an der Want stramm gestanden wäre. So bleibt der patriotisch gefärbte Sager „Unglaublich, was wir der Welt alles geschenkt haben!“ ein kleiner Scherz.
Am 6. August 1893 fuhr das erste Schiff durch die Wasserstraße. 125 Jahre Kanal von Korinth, 2.500 Jahre Schlacht von Salamis. Lauter Jubiläen. Noch ahnen wir nicht, dass wir diese mit einem Jahrhundert-Sturm begehen werden.
Wir werden aufgefordert, so schnell wie möglich zu fahren. Nach knapp 40 Minuten streichen wir den Kanal von Korinth von unserer To-do-Liste und zitieren den Kaiser: Es hat uns säääähr gefreut!

Gespenstische Ahnungen

Unser nächstes Ziel sind die Alkyoniden, eine Inselgruppe im nautischen Niemandsland. Deshalb biegen wir beim Leuchtturm am malerischen Kap Melangavi nach Nordosten ab und bummeln bei leichtem Wind mit drei Knoten die grüne Halbinsel Perachora entlang, die einen Keil zwischen Peloponnes und Festland bildet. Ankern in den Alkyoniden ist nicht einfach, da die Durchfahrt zwischen Zoodochos Pigi und Daskalio seicht und unklar ist und sich die Kartenangaben als ungenau bis falsch erweisen. Wir entscheiden uns für einen Platz am Nordwest-Strand von Zoodochos, dem ein Betongürtel unter der Wasseroberfläche vorgelagert ist. Offenbar handelt es sich um den versunkenen Steg eines verlassenen Klosters oben am Berg. In der Bucht liegt eine große Ankertonne, die aussieht, als könnte sie einen Frachter halten. Nach dem Tauchgang wissen wir: Hier sollte man nicht einmal sein Dingi festmachen.

Auch der Hafen von Daskalio ist versunken, der Wellenbrecher ein Fragment. Die Reste des Fußwegs zur verfallenen Ferienanlage sind unterwaschen. Vorsicht ist geboten. Nach und nach erobert die Natur die Insel zurück. Mauern sind teilweise eingestürzt. Bewährungseisen ragen aus den Dächern wie die Finger eines Skeletts. In einem Haus stehen Gläser auf dem Tisch. An den Wänden hängen Bilder. Eines der Betten ist überzogen. Ein Gaskocher neben einem offenen Kamin lässt darauf schließen, dass die Fischer die Zimmer ab und zu als Notquartier nutzen.

Es ist unnatürlich heiß. Auf dem Weg zur höchsten Erhebung sagt einer: „Diese Hitze ist mir unheimlich …“ Eine Vorahnung, die auf die Nähe des Orakels von Delphi zurückzuführen ist?

Die verlassene Insel ist gespenstisch und beruhigend zugleich.

Den gesamten Bericht inklusive Info-Kasten über das Phänomen Medicane lesen Sie in der Yachtrevue 11/2018, am Kiosk ab 2. November!

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