Plötzlich keine Prinzessin
Dezember 2021: Die persönliche Monatsbilanz von Judith Duller-Mayrhofer
Guter Dinge. Reise oft und so gut wie immer per Schiff. Bin daher routiniert beim Packen und greife stets nach meinen Standard-Klamotten, die nur nach Klima-Zone variieren; länger als eine Viertelstunde dauert es nicht, bis ich mein Zeug beisammen habe. Diesmal aber alles anders, weil Schiff ist ein 138 Meter langer Dreimaster mit Bibliothek, Bar und Panorama-Restaurant. Elegante Kleidung sei erwünscht, steht in den Unterlagen. Ui. Stopfe also das Eleganteste, das sich in meinem Schrank findet, in meine Tasche, dazu passendes Schuhwerk sowie das übliche Outfit für einen Segeltörn. Brauche eine Dreiviertelstunde und bekomme kaum den Reißverschluss zu, fahre dafür mit der Gewissheit los, für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.
Ohne Dinge. Komme planmäßig auf Gran Canaria an, Gepäck ist allerdings in Madrid geblieben und braucht drei volle Tage um zu mir an Bord zu gelangen. Und Tschüss, Eleganz. Tagsüber gehe ich gerade noch so durch, abends bilde ich mit Jeans, T-Shirt und Kapuzenjacke einen buchstäblich ungeschminkten Kontrast zu den anderen Damen, die beim Dinner Kleidchen und Klunker tragen. Fühle mich wie Aschenputtel, nur dass mich niemand in einer goldenen Kutsche aus meiner Misere rettet; mein Prinz ist nämlich aus den gleichen Gründen ebenso underdressed wie ich. Meine Befangenheit weicht aber bald einer neuen Leichtigkeit. Lasse mir Austern und Rosé aus dem Languedoc auch ohne Designer-Dress schmecken, und feiere heimlich die Befreiung von jeglichem Schönheitszwang. Man muss eben auch mental für alle Eventualitäten gerüstet sein.