Drei Inseln im Licht
Werner Meisinger war im Golf von Neapel unterwegs, suchte einen Liegeplatz für ein Rendezvous mit der Geschichte und wurde gleich mehrfach fündig
Warm am Fuß, kalt im Herz – die Insel der Räuber und Ritter
Gut sichtbar auf allen Routen zwischen den Inseln steht der Vesuv an der Küste und zeigt, was vom Golf von Neapel zu halten ist. Es ist ihm nicht zu trauen, denn tief im Inneren ist die Erde nervös, und vor Neapel kommt man der Nerventätigkeit des Planeten gefährlich nahe. Wenn die Erde allzu nervös wird und zuckt, kann das verheerende Folgen haben. Stichwort Pompeji 79 oder Irpinia 1980. Gelegentlich entsteht dabei auch Gutes, zum Beispiel Ischia.
Ischia ist vulkanischen Ursprungs. Das ist leicht zu erkennen: Am kreisrunden Hafen der Inselhauptstadt, der bis vor etwa 150 Jahren noch ein Kratersee war. An den auffällig symmetrischen Bergkegeln, die über die Insel verstreut sind. Am Sand zahlreicher Strände, der schwarz wie Ruß und kalte Lava ist. An manchen Hot Spots lässt sich die ans Licht drängende Vitalität des Erdinneren auch genießen, zum Beispiel wenn man notorisch kalte Füße hat.
Dann auf in die Bucht von Sorgeto. Dort ist auf die häufig gestellte Frage, ob man im Wasser schwitzen kann, eine Antwort zu finden. Aus den Tiefen sprudelt eine vom Magma temperierte Quelle und heizt das Meer auf. In Ufernähe kuscheln sich Menschen eng aneinander, um von dem warmen Wasserstrom umkost und aufgeweicht, und, ja auch, zum kleinen Stoffwechsel animiert zu werden. Schiffe drängen heran, um ihren Passagieren die Freuden des Warmbadens zu bereiten. So sitzen und treiben Menschen in dieser Bucht und schwitzen auf den vom Wasser unbenetzten Stirnen, während sie untenherum zwar nicht schwitzen, aber doch das Gefühl von Rindfleisch haben, das als Gesottenes zur Beilage zum Semmelkren bestimmt ist. Ein wohliges Vergnügen, wenn man so etwas mag.
Derartige Vorzüge der Natur haben Ischia früh populär gemacht. Siedler aus Euböa – große Töpfer vor dem Herrn – schätzten neben dem warmen Bad vor allem das reichliche Tonvorkommen auf der Insel. Die Töpferei führte zu Wohlstand. Wo Wohlstand ist, kommen solche, die daran partizipieren wollen. Römer, Byzantiner, Langobarden, Normannen etc. So blieb die Insel über die Jahrhunderte ein gern frequentiertes Ziel für Profit-, Schutz- und Erholungssuchende. Heute sind die Erholungssuchenden dominant. Das zeigt sich daran, dass auf sämtlichen Stränden Ischias dichte Wälder aus Sonnenschirmen blühen.
Wo eine lange Geschichte verwurzelt ist, findet auch der schöngeistig angetriebene Besucher etwas. In Ischia vorzüglich auf jenem Berg, der die Ostküste der Insel bewacht. Eigenartige Geschichten sind hier eindrucksvoll dokumentiert.
Weithin sichtbar erhebt sich auf dem runden Berg die Burg der Aragoneser. In ihrer Mächtigkeit kündet sie von der Bedeutung ihrer Herren für die für die Region. Sie war nicht nur Bollwerk gegen Feinde und Piraten, die häufig im Golf von Neapel aufkreuzten, sondern auch ein spezieller, von Gottesfürchtigkeit geprägter Lebensraum. Als Ausdruck der Beugung unter die Gnade der Heiligen Dreifaltigkeit und zwecks Erringung der Fürsprache wirkmächtiger Heiliger wurden innerhalb der Wehrmauern nicht weniger als 13 Kirchen errichtet. Dazu befanden sich weitere gottgefällige Institutionen auf der gut gerüsteten Kuppe: Der Bischofssitz, ein Priesterseminar, ein Kloster der Basilianer und eines der Clarissinnen. Knapp zweitausend Familien scharten sich zu den besten Zeiten der Anlage um diese Hirten. Gut vorstellbar, dass es auf der Aragoneser-Burg beengt zuging.
Die Platznot machte erfinderisch. Auch was die Bestattungsbräuche betrifft. Die Clarissinnen kamen auf die Idee, die sterblichen Überreste ihrer dahingegangenen Schwestern so zu reduzieren, dass eine platzsparende Bettung zur ewigen Ruhe möglich wurde. Sie verbrachten die Verblichenen in eine Kammer mit speziell gestalteten Nischen, in die Steinmetze Sitzflächen mit einem Hohlraum darunter und einem zentralen Loch darin gehauen hatten. Unter die Löcher stellten die noch im Diesseits verhafteten Ordensschwestern Vasen, um die dem unbeseelten Gewebe entweichenden Säfte aufzufangen. Zu Seiten der so Dahinschmelzenden betete und meditierte die trauernde Clarissinnengemeinde täglich mehrere Stunden – was spirituell sicher gut angeschlagen hat, nur ziemlich ungesund gewesen ist. Die Chronik berichtet von einer beständig guten Auslastung der Gruft. Sobald von den Jenseitigen nur noch Haut und Knochen übrig waren, kamen diese Reste ins Beinhaus, die Vasen aber in ein Regal, vor dem man der Toten nun mit deutlich geringerer Geruchsbelastung gedenken konnte.
Die Leichenentsaftungsanlage wurde sehr schön renoviert. Ein kleines Museum zum Thema „Beliebte Foltermethoden im Wandel der Zeiten“ lockt ebendort zur kurzweiligen Betrachtung. Man glaubt gar nicht, was die Herren der Inquisition und deren Erben alles erfunden haben! Wenn die Sommerhitze über dem Golf von Neapel brütet und auch der Sprung ins Wasser keine rechte Erfrischung mehr zu bringen vermag: Bei einem Besuch der Aragoneser-Burg wird einem zuverlässig kühler, jedenfalls ums Herz.
Ganz nah am Untergang – ein Ausflug nach Pompeji
Früher konnte man, so errechnen es Archäologen, mit dem Schiff in Pompeji anlegen. Das ist heute eindeutig nicht mehr möglich. Veränderung liebend schafft die Natur stets neu aus anderen andere Formen, schrieb schon Ovid. Das betrifft auch die Küstenlinien. Heute kann man der versunkenen Stadt mit dem Schiff nur noch nahe kommen.
Die Marina di Stabia bietet 850 Liegeplätze und liegt in Gehweite von Pompeji. Der Sportboothafen wurde erst vor wenigen Jahren errichtet und steht ganz augenscheinlich im Banne der antiken Unglücksstadt, der weltberühmtesten Stätte des rapiden Verfalls. Knapp außerhalb der Saison beherrscht potemkinsche Leere das weitläufige Gebilde aus Beton und Stahl. Die Sanitärräume haben in ihrem desolaten Zustand ihr wahres Alter um Jahrzehnte überholt. Flugrost und organische Schädiger nagen an den Strukturen, die sich kein Mensch ans Herz genommen hat, um den Niedergang des eben erst Gebauten zu verhindern oder wenigstens zu hemmen.