Gegen den Strom
Bei einer Bootsfahrt am Canal du Midi kommen nicht nur Schleusen-Fans voll auf ihre Rechnung, sondern auch Kulturliebhaber und Genussmenschen
119 Höhenmeter in einer Woche kosten einen Wanderer nicht mal ein müdes Lächeln, einen Radfahrer nur ein gleichgültiges Schulterzucken. Für einen Bootsfahrer aber bedeutet die Bezwingung eines derartigen Anstiegs eine monumentale Anstrengung, für die 16 Jahre Planung und 14 Jahre Bauzeit nötig waren. Ein heller Kopf, Pierre-Paul Riquet, und 12.000 Arbeiter schufen im 17. Jahrhundert unter Sonnenkönig Ludwig XVI. den 240 Kilometer langen Canal du Midi, der von den Flüssen des Schwarzen Gebirges (Montagne noire) gespeist wird und aus einem gefinkelten System aus 91 Schleusen sowie jeder Menge Brücken, Aquädukten, Überlaufbecken, Dükern und sogar einem Tunnel besteht.
Dank dieser herausragenden Ingenieurskunst, die auch als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt wurde, ist es uns 350 Jahre später möglich, auf einem Hausboot der Charterfirma LeBoat 70 Kilometer von Homps nach Castelnaudary zurückzulegen. Wobei es sich bei der 13,5 Meter langen Horizon 3, die 2017 von der polnischen Delphia Werft gebaut wurde, mehr um einen luxuriösen Flusskreuzer als ein schnödes Hausboot handelt. Auf dem Deckhaus, das größtenteils aus getönten Glasscheiben besteht und eine beeindruckende Rundumsicht bietet, thront eine ausladende Flybridge mit Steuerstand, Sonnenliegen, Essecke und Gasgriller. Die Kajüten sind sehr geräumig, mit großzügiger Stehhöhe und viel natürlichem Licht ausgestattet. Wäre da nicht die verhältnismäßig schwache Motorisierung (60 PS), die noch dazu gedrosselt ist und nur eine maximale Geschwindigkeit von sechs Knoten (11 km/h) erlaubt, würde man sich auf einer modernen Flybridge-Yacht wähnen.
Auf Riquets Spuren
Der Wasserweg, der in Kombination mit dem Kanal von Garonne als Verbindung zwischen Atlantik und Mittelmeer dient, konnte sich in der Neuzeit als Alternative zum Transport auf der Schiene und der Straße etablieren, daher mussten weder Schleusen noch Brücken an die Größe moderner Cargo-Schiffe angepasst werden. Der Kanal blieb also mit seinen Bauwerken in seiner Ursprünglichkeit erhalten und zählt zweifelsohne zu den Highlights im Genre der Hausbootreise.
Der Abschnitt zwischen Homps und Castelnaudary ist der älteste und wird von 30 Schleusen mit insgesamt 44 Kammern unterbrochen. Jede Schleuse wird von einem Schleusenwärter betreut und hat ihren ganz eigenen Charakter. Manche hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Die Schleuse Jouarres etwa, unsere erste Schleuse. Hier begehen wir einen typischen Anfängerfehler und fahren beherzt in die elliptische Kammer ein, um sogleich zu bemerken, dass sich die Poller in unerreichbarer Höhe und Entfernung befinden und auch der Bootshaken keine große Hilfe darstellt. Zum Glück hat der Schleusenwärter Mitleid und nimmt ausnahmsweise unsere Festmacher an. Üblicherweise lässt man an den Anlegestellen vor den Schleusen ein Crewmitglied aussteigen, das dann in der Schleuse die Leinen übernimmt. Aber wir lernen schnell und es bleibt bei diesem einen Fauxpas.
In manchen Schleusen sorgen Strömung und starker Rückenwind dafür, dass das Heck ausbricht, das Boot am Festmacher zerrt wie ein Gennaker an der Schot und man am Abend die Anzahl der Schleusen in den Armen spürt. Zum Glück verfügt die Horizon 3 über Bug- und Heckstrahlruder und ich kann immer wieder Motorenkraft zur Unterstützung einsetzen.
Der Höhenunterschied in den Schleusen beträgt zwischen zwei und 3,5 Metern. Muss ein größerer Anstieg überwunden werden, verfügen die Schleusen über mehrere Kammern. Manche Schleusen, wie jene bei Trebes, liegen direkt an einem Restaurant, andere wie La Peyruque haben einen eigenen Gastgarten. In der Hauptsaison dienen die Schleusen auch der Versorgung mit frischem Baguette, Olivenöl, Käse und Wein. Die Ecluse de L'Aiguimle hat es durch ihre Ansammlung an Skulpturen aus Holz und Metallschrott, die der ehemalige Schleusenwärter Joel Barthes geschaffen hat, zu lokaler Berühmtheit gebracht.
Alle Schleusenwärter und -innen sind ausgesprochen freundlich und einer Unterhaltung nicht abgeneigt, diese wird mangels ausreichenden Sprachkenntnissen auf beiden Seiten nicht selten mit Händen und Füßen geführt. Anfang Juni haben die Schleusenwärter noch nicht allzu viel zu tun und wir sind beim Schleusen oft das einzige Boot. Meist öffnen sich die Schleusentore bereits bei unserer Annäherung.