Gelegenheit beim Schopf
Ein deutsches Eigner-Paar schipperte auf einem 72-Fuß-Halbgleiter von Barcelona bis Marseille, erkundete die Costa Brava und nutzte die vom Mistral erzwungenen Pausen für Ausflüge ins Umland
Nähert man sich einem Ort von See aus, nimmt man ihn ganz anders wahr, als wenn man von Land kommt. Barcelona ist da keine Ausnahme: Zuerst treten schemenhaft die Umrisse der Berge hervor, helles Grau verwandelt sich nach und nach in dunkles Grau. Dann lassen weiße Flecken und kleine Spitzen auf den Bergen zunehmend die Bebauung erahnen. Schließlich nimmt die Metropole konkrete Formen an – man erkennt die Containerkräne und Öltanks des westlichen Industriehafens, kann einzelne große Schiffe und Häuserblöcke identifizieren.
Unsere Marina Port Vell liegt direkt im Zentrum Barcelonas und ist am besten über den Northern Entrance zu erreichen, der auch von der Berufsschifffahrt genutzt wird. Als kleines Sportboot tut man gut daran, den in der Seekarte ausgewiesenen Wegen zu folgen. Von der Hafeneinfahrt, die durch eine Mole geschützt ist, bis zur Marina sind mehrere Hafenbecken zu durchfahren und so müssen wir noch rund sechs Kilometer zurücklegen, bis wir tatsächlich vor Ort sind.
Den Liegeplatz haben wir vorsichtshalber schon Monate im Voraus reserviert und angezahlt. Die Abwicklung verlief per E-Mail und sehr professionell, der diensthabende Marinero kann uns allerdings nicht auf seiner Ankunftsliste finden. Es heißt also warten, aber der glücklicherweise nicht überfüllte Hafen ist so groß, dass wir relativ rasch einen guten, wenn auch sehr engen Liegeplatz zugewiesen bekommen.
Barcelona ist die Hauptstadt Kataloniens und mit 1,6 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Spaniens. Im weiteren Einzugsbereich leben insgesamt fast fünf Millionen Menschen und mit jährlich mehr als sieben Millionen Touristen zählt Barcelona überdies zu den drei meistbesuchten Städten Europas (wir sprechen natürlich von der Zeit vor Corona). Anders gesagt: Barcelona ist eine quirlige Metropole zwischen Tradition und Moderne, die Strand und Berg sowie träumerische Beschaulichkeit und vielfältigen Trubel gleichermaßen zu bieten hat.
Kunst und Künstler
Zu den weltbekannten Highlights gehört die Basilika Sagrada Família. Vom Architekten Antonio Gaudí 1882 begonnen, ist sie immer noch unvollendet, soll aber 2026, zum 100. Todestag von Gaudí, fertiggestellt werden. Die Wirkung der Kathedrale ist bereits jetzt phänomenal. Nichts scheint dem Zufall überlassen worden zu sein, eine durchgehende Philosophie orientiert sich am Respekt für die Größe der Schöpfung. Beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit die Menschen früher ein Mammut-Projekt angingen und sich ihm ein Leben lang verschrieben, obwohl sie sicher wussten, dass sie die Fertigstellung nicht erleben würden. Wer bringt heutzutage noch so eine Hingabe auf?
Nachdem wir das pulsierende Barcelona hinter uns gelassen haben, wenden uns der „wilden Küste“ Costa Brava zu. So nannte der Schriftsteller Ferran Agulló 1908 diesen nordöstlichsten Streifen der spanischen Mittelmeerküste und prägte damit einen Begriff, der sich halten sollte. Die erste Etappe führt uns bei Sonnenschein und ganz leichtem Wind nach Palamòs; die See ist überraschenderweise ein bisschen unruhig. Wir machen in dem schmucklosen Hafen fest und erreichen über einen kleinen Hügel das Ortszentrum. Es ist ganz auf den Tourismus ausgerichtet und fällt im Vergleich zu den anderen wunderschönen Altstädten der Region deutlich ab.
In Roses, unserer nächsten Station, die gleichzeitig der letzte spanischen Hafen auf unserer Route ist, bleiben wir ganze drei Tage – starker Mistral verhindert das eigentlich früher geplante Auslaufen. Langweilig wird uns aber nicht, wir unternehmen Entdeckungsreisen, besuchen unter anderem das Dalí-Museum in Figueres und kommen nach Pablo Picasso einem weiteren großen spanischen Künstler näher. Dalís Skurrilität mag nicht jedermanns Sache sein, aber wir entdecken ihn für uns neu, als brillanten Schmuckdesigner und genialen Meister optischer Täuschungen. Dalí hat viel Zeit an der Costa Brava verbracht, da seine gut situierten Eltern in Portlligat ein Sommerhaus besaßen (heute übrigens ebenfalls ein Dalí-Museum).