Liebesgrüße aus Moskau
Das Eigner-Paar Jutta und Thomas Kittel reiste auf einem 72-Fuß-Halbgleiter von Rostock nach Russland. Höhepunkt des Törns war ein Stopp vor dem weltberühmten Kreml-Ensemble
Endlich in Sankt Petersburg. Eineinhalb Jahre Planung und Vorbereitung, zahlreiche bürokratische Hürden und ein vierwöchiger Törn von Rostock entlang der Ostseeküste bei wechselhaftem Wetter liegen hinter uns, nun warten wir darauf, dass es weitergeht. Moskau heißt unser großes Ziel; außer der deutschen Seglerlegende Rollo Gebhard kennen wir niemanden, der diese Tour schon unternommen hätte. Boris, der vorgeschriebene russische Begleiter, beantragt die nächtliche Durchfahrt unter den aufgeklappten Brücken der Newa, zu deren beiden Seiten die Zarenstadt liegt. Wir bekommen einen Lotsen zugeteilt und die Zeit genannt, zu der wir uns an der ersten Brücke einfinden müssen. Von hier aus startet der tägliche Konvoi flussaufwärts; die Platzziffer im Verband wird einem kurz davor mitgeteilt.
Unser Russland-Abenteuer beginnt spektakulär: Die „Weißen Nächte“ lassen das Licht kaum schwinden, Sankt Petersburg ist festlich beleuchtet, zahlreiche Touristen sorgen für Volksfest-Stimmung. Zwar herrscht bei der Durchfahrt starker Gegenwind und so kaltes Wetter, dass wir dem Lotsen eine Jacke leihen müssen, aber unsere Begeisterung überwiegt allen Unbill.
Vor uns liegen etwa 1.800 Meilen und gut sechs Wochen auf russischen Binnengewässern. Die Route führt durch ein System von Flüssen, Kanälen, gewaltigen natürlichen Seen sowie künstlichen Stauseen mit zahlreichen Großschleusen. Da der Wolga-Ostsee-Wasserweg fast ausschließlich von Flusskreuzfahrtschiffen, Tankern, Frachtern und Schubverbänden befahren wird, ist er breit ausgebaut und gut betonnt. Sportboote sind außerhalb der Metropolen St. Petersburg und Moskau kaum zu finden – und solche unter ausländischer Flagge schon gar nicht. Vermutlich aus diesem Grund gibt es auf der gesamten Strecke so gut wie keine maritime Infrastruktur. Wenn wir morgens starten, wissen wir meist nicht, wo wir abends festmachen werden. Auch für Boris ist der größte Teil der Strecke unbekannt; von ihm ist daher wenig Hilfe zu erwarten. Rasch lernen wir, dass ein scheinbar freier Liegeplatz nicht unbedingt die ganze Nacht als frei gelten muss. Nicht nur einmal müssen wir nach wenigen Stunden Schlaf die Motoren wieder anwerfen und unser Schiff umlegen …
Die Newa kommt uns mit starker Strömung entgegen, an einer Engstelle erreicht sie mehr als fünf Knoten. Bis zur Einfahrt in den Ladogasee bei Schlisselburg begleitet uns die Zivilisation, danach wird es spürbar einsam. Der 225 m tiefe Ladogasee, der größte See Europas, ist riesig. Seine Wasserfläche beträgt 17.700 km², seine weit über 500 Inseln bedecken 687 km². In Nord-Süd-Richtung erstreckt er sich über knapp 220 km, an seiner breitesten Stelle in West-Ost-Richtung misst er 120 km. Wir bleiben in seinem südlichen Bereich und verlassen den See bei Swiriza, um den Fluss Swir stromaufwärts zu fahren. Anlegemöglichkeiten gibt es hier nicht, daher müssen wir in einem Nebenfluss ankern. Aufgrund des starken, ungünstigen Windes braucht es eine Weile, bis unsere 60-Tonnen-Yacht hält. Als wir den Anker hochholen, haben wir einige überraschende Hinterlassenschaften am Haken, deren Beseitigung uns nur mühsam gelingt.
Schleusen mit den Großen
Der Swir schlängelt sich durch endlos scheinende Nadelwälder und verbindet den Ladogasee mit dem Onegasee. Dort findet sich unter anderem die Insel Kischi mit ihren berühmten, als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannten Kirchen; dort wollen wir auf der Rückfahrt Station machen. Zunächst machen wir aber Bekanntschaft mit der ersten von über zwanzig Großschleusen (Länge bis zu 290 m, Breite 18 bis 30 m, Hubhöhe 6 bis 16 m). Sie sind für die Berufsschifffahrt gebaut, das Prozedere ist exakt festgelegt. Spätestens hier wird klar, warum eine russische Begleitperson mit Bootsführerschein zwingend vorgeschrieben ist. Allein die Kommunikation per Funk mit dem Schleusenpersonal wäre ohne sie nicht zu bewerkstelligen.
In der Regel werden wir mit anderen Schiffen zusammen geschleust.