Gut gekühlt
Mehrere Sommer lang erkundeten die Oberösterreicher Ursula und Franz Xaver Lösch auf eigenem Kiel die Ostsee und entdeckten dabei speziell die seichten Boddengewässer als wunderbares Segelrevier
Immer wieder Hiddensee. Egal, wie oft wir unsere Fotos ansehen – jedes Mal kommen wir zu demselben Ergebnis: Hiddensee ist und bleibt unsere Lieblingsinsel in der Ostsee. Und das will was heißen, denn wir haben in den letzten Jahren viele Inseln hier oben kennen gelernt. Insgesamt zehn Monate waren wir mit unserer Moinmoin, einem schwedischen Backdecker vom Typ Maxi 95, auf Nord- und Ostsee unterwegs, doch am allerbesten gefielen uns die Gewässer um Hiddensee. Die Insel, die flächenmäßig zu den kleineren der Ostsee zählt, ist 16 Kilometer lang, misst an der schmalsten Stelle nur 240 Meter, hat die Form eines Seepferdchens (was sich auch im Inselwappen niederschlägt) und scheint ein geradezu magischer Ort zu sein; einmal angekommen, will man ihn nicht mehr verlassen. Nirgendwo sonst ist es so leise wie hier, wo es keine Autos gibt, sondern ausschließlich Pferdekutschen verkehren. Segler können vier Häfen anlaufen, die sich allesamt auf der Ostseite eines geschützten Boddens befinden, wie die flachen Buchten in dieser Gegend genannt werden
Besonders angetan hat es uns der Hafen Kloster. Hier vergisst man, wie verrückt die Welt geworden ist, die Zeit steht still und alles scheint in Ordnung zu sein; außer man macht den Fehler und schaltet versehentlich die Nachrichten im Radio ein … Hinter der Hafenanlage erstreckt sich der Dornbusch, ein Hügelland mit feinsandigen Dünen und zahlreichen Kliffvorsprüngen. Dort befindet sich auch der markante Leuchtturm. Von der Ferne wirkt er düster, der Ausblick von seinem Laternengehäuse auf die Ostsee ist aber überwältigend. Landeinwärts prägt der orangefarbene Sanddorn, auch Zitrone des Nordens genannt, das Bild. Er wird zu allerlei Köstlichkeiten verarbeitet, von Tee über Gummibärchen bis zu Likör und Sanddorntorte; Letztere schmeckt übrigens tatsächlich ausgezeichnet.
Am weitesten im Süden liegt der Hafen Neuendorf. Die Ansteuerung ist kein Problem, doch neben den zahlreichen Fischkuttern kommen nicht sehr viele Sportboote unter. Das ist schade, denn der putzige Ort mit seinen weiß gekalkten Reetdachhäusern zählt zu den am besten erhaltenen Fischerdörfern in der Ostsee.
Ausreichend viele Liegeplätze gibt es in der Marina Lange Ort, gleich neben Vitte, dem zentralen Ort der Insel Hiddensee, gelegen, allerdings ist die Zufahrt nichts für schwache Nerven. Die Rinne hat einige kritische Stellen, ab der grünen Tonne wird es so flach und eng, dass zwei Boote kaum aneinander vorbeikommen. Es empfiehlt sich also, rechtzeitig die Segel zu bergen und den Motor zu starten. Falls einem die große Fähre begegnet, wird es richtig spannend, wir finden aber, dass die idyllische Marina diesen Aufwand allemal wert ist.
Vitte verfügt auch über einen eigenen Hafen, er ist aber den Fischern und Fähren vorbehalten. Man sollte ihn nur anlaufen, wenn man Diesel bunkern oder sich vor einem Gewittersturm verstecken will.
Rau und ruppig
Apropos: Bei Sturm sind die wunderbaren Gewässer der Bodden ausgesprochen tückisch. Drückt starker, ablandiger Wind das Wasser hinaus in die Ostsee, ändert sich der Wasserstand dramatisch und die flachen Bereiche fallen in kurzer Zeit trocken. Windwatt nennt sich dieses Phänomen, das Segelyachten, aber auch große Passagierfähren in arge Bedrängnis bringen kann; das haben wir im Juli 2017 selbst miterlebt. Die Inselsirene warnt davor und sollte daher unbedingt ernst genommen werden. Ein Ostsee-Veteran, der seit fast 30 Jahren penibel Logbuch führt, hat uns übrigens verraten, dass sowohl die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten als auch die Häufigkeit von Starkwind in diesem Revier deutlich zugenommen haben; Ursache dafür dürfte wohl der Klimawandel sein. Das Ankern in den Boddengewässern ist daher nur bedingt zu empfehlen, auch wenn etwa an der Ostküste von Hiddensee durchaus einige beschauliche Plätzchen locken.
Auch mit den Wellen ist nicht zu spaßen. Das erfuhren wir am eigenen Leib bei einer Überfahrt über den Greifswalder Bodden südöstlich von Rügen, dessen Wassertiefe kaum mehr als fünf Meter beträgt. Er ist kreisrund, nach Norden zur Ostsee geöffnet und hat einen Durchmesser von rund zwölf Seemeilen. Diese Distanz erinnerte uns an den heimatlichen Attersee, und so betrachteten wir die Überquerung des Boddens als gemütliche Kaffeefahrt, wie ein Schlag von Seewalchen nach Unterach. Bei sieben Beaufort liefen wir vom alten Fährhafen Stahlbrode aus und schätzten, dass wir in zwei bis drei Stunden auf der anderen Seite im Fischerdorf Freest ankommen würden. An die Warnung im Törnführer, dass eine Boddenüberquerung ab Windstärke 5 für kleinere Sportboote kritisch werden könne, erinnerten wir uns zwar, taten sie aber als absurd und übertrieben ab. War sie aber nicht: In der Mitte des Boddens herrschten die eigenartigsten Wellen, denen wir jemals ausgesetzt waren, keine zwei Meter hoch, aber extrem steil und in ganz kurzen Abständen aufeinander folgend.