Im Reich der Buchten
Der westlichste Abschnitt der türkischen Südküste bietet noch die Gelegenheit zu Entdeckungen aller Art. Wer Klasse statt Masse sucht, ist hier richtig, findet Werner Meisinger, der dieses Revier im Herbst 2021 besegelte
Wo sich die türkische Küste gegen Osten wendet, streckt sie zwei felsige Finger in Richtung der griechischen Inseln. Bei Bodrum wird dadurch der fünfzig Meilen lange Golf von Gökova gebildet. Eine Landspitze weiter südlich erreicht man eine Küstenstruktur voller Einschnitte und natürlicher Häfen. Das Fahrtgebiet setzt sich aus den großen Buchten Hisarönü und Yesilova zusammen und wird im Westen von der Insel Symi begrenzt.
Im Vergleich zu anderen Inseln und Küstenabschnitten in der Region ist dieser westlichste Bereich der türkischen Südküste wenig frequentiert und beschrieben. Vielleicht fehlen archäologische Stätten von besonderer Bedeutung, auch die antiken Helden haben sich in der Gegend nicht besonders hervor getan. Vom landschaftlichen Reiz und der wassertouristischen Infrastruktur zählt diese Ecke aber zum Besten, was im östlichen Mittelmeer zu finden ist.
Geschenkt gibt es das aber nicht. Die Anreise gestaltet sich ein wenig kompliziert (siehe Infokasten) und im Hochsommer kann das Klima unbequem sein: Vierzig Grad im Schatten ist dort nichts, worüber man sich besonders aufregen würde.
Wir waren Mitte Oktober unterwegs und hatten alles: wenig Verkehr, entspannte Gastronomie und laue Temperaturen. Einige attraktive Navigationsmarken auf einem Trip entlang der Küste seien hier vorgestellt.
Ziegen, Esel, feine Weine
Vom Osten kommend bieten sich Serçe Limani und Bozukkale für einen Stopp vor dem Eintritt in das Buchtenreich an. Serçe Limani ist ein malerischer Ankerpool mit dem bemerkenswerten „Captain Nemo“ als Kommandanten des örtlichen Wirtshauses. Die folgende Bucht, Bozukkale, bietet den Besuchern mehrere Gastronomiebetriebe, die Reste einer fast 3.000 Jahre alten Festung und eine erlebenswerte Tierwelt.
Rund um die Bucht erheben sich steile Steinhänge. Die Ersteigung bringt lohnende Tiefblicke und führt anfangs über lockeres Geröll und mit zunehmender Höhe durch scharfkantigen Fels. Nur scheinbar ist dieses Gelände lebensfeindlich. Ausweislich ihrer Hinterlassenschaften treiben sich darin mindestens Kaninchen, Ziegen und Esel herum und finden mit dem wenigen Grün ihr Auslangen. In der roten Erde zwischen den Steinen strecken Knollenpflanzen lange Stängel mit weißen Blüten in den Himmel, die, da sie so zahlreich sind, offenbar von keinem der hier lebenden Tiere als Nahrung akzeptiert werden. Kleinblättriger Salbei und Oregano wachsen in knorrigen Büscheln in den Felsspalten, doch was so aussieht, als wäre es zu borstig geratener Rosmarin, ist eine bösartige Stachelpflanze. Ein paar Mal mit der nackten Wade angestreift, und schon ist diese ein Fall für die wundheilenden Mittel der Bordapotheke.
In Bozukkale treffen das alte und moderne Anatolien aufeinander. Sehr zeitgemäß werden die Restaurants bewirtschaftet. Man spricht die Sprachen der Besucher, auch der russischen, man kennt sich mit den Weinen aus, und über den Standard der Küche lässt sich nichts Abfälliges berichten. So weit das moderne, von der Tourismuswirtschaft geprägte Anatolien.
Die traditionelle Seite zeigt sich im Scheitel der Bucht. Gleich hinter dem Loryma-Restaurant (benannt nach der antiken Stadt, die an dieser Stelle einstmals gestanden hat) öffnet sich ein in Regenzeiten ausgewaschenes Flussbett. Dort ziehen des Morgens große Ziegenherden auf ihre Weidegründe und ist eine Gruppe Esel sesshaft. Von den uralten Olivenbäumen ernten Frauen die Früchte, indem sie Plastikplanen um die Stämme legen und mit langen Stöcken auf die Äste schlagen. Ein mühseliges Geschäft, das aber Öl von großer Fruchtigkeit und lebhafter Säure liefert.
Abends schauen die Esel mit schöner Regelmäßigkeit im Restaurant vorbei, um ein paar Schnitten Brot abzugreifen und artübergreifende Kontakte zu pflegen. Das Streicheln oder auch nur Berühren der Ohren mögen die Grautiere nicht so gern, aber Liebkosungen an Hals und Schulterblättern sind ihnen recht. Allerdings nur während ihrer Restaurantbesuche – versucht man, den Eseln auf ihren Weidegründen nahe zu kommen, wird man scheitern. Tagsüber halten sie skeptische Distanz zu Menschen.
Das Personal des Restaurants achtet sorgfältig darauf, dass keine Konflikte zwischen den Interessenssphären der Esel und der Gäste entstehen. Bei Gefahr in Verzug stampft der Wirt ein paar Mal mit dem Fuß auf den Boden. Dann verstehen die Esel, dass sie im Restaurant nicht mehr erwünscht sind, und traben ins Dunkel der Nacht.
Müßiggang auf Premium-Niveau
Von Osten Yesilova Körfezi erreichend, bildet Sög˘üt Limani den ersten tiefen Einschnitt in die Küstenlinie. Moderat ansteigend und karg umrahmt das Land die Bucht. Von menschlicher Gestaltung ist wenig zu sehen, von Eingriffen der Tourismuswirtschaft gar nichts. Erst am Ende der Bucht leuchten rote Dächer und signalisieren Gastlichkeit. Die ist erstaunlich gut entwickelt.
Mehrere Restaurants erwarten Reisende, am ambitioniertesten betreibt das Octopus sein Gewerbe. Yachties bietet es eine Mini-Marina mit ca. 20 Liegeplätzen, Strom, Wasser und Wäschereiservice. Man bewirtet im gehobenen Stil, der auch an die Côte d‘Azur gut passen würde. Bequemes Gestühl aus Teak, feine Tischwäsche, bestens gefüllter Weinkühlschrank, ebenso sortierte Fischtheke.
Über die Tischkante hinaus schweift der Blick aufs glitzernde Meer.