Wellenbad der Gefühle
Anschaulicher Geschichtsunterricht, ungewöhnliche Wetterbedingungen, gelebtes Abenteuer – ein Törn im Thyrrhenischen Meer von Kalabrien nach Kampanien kann ein beeindruckendes Erlebnis sein
Der Feuerschein am Horizont existiert eher in unserer Phantasie. Doch die Konturen sind echt und unverkennbar: Stromboli, das ist keine Wolke im Graubereich zwischen Tag und Nacht. Stromboli ist ein Vulkan wie aus dem Bilderbuch. Doch diesmal werden wir ihn links liegen lassen – rund 40 Meilen Umweg auf unserem One-way-Törn von Tropea nach Salerno sind uns bei diesen Bedingungen zu riskant. Unser erstes Teilstück nach Cetraro misst 55 Meilen. Kurs 360 Grad. Und der Wind kommt genau aus Westen, von dort, wo der Stromboli liegt. Wobei „Wind“ leicht untertrieben ist: 40 Knoten plus erfüllen den Tatbestand eines satten Achters. Oder eines schüchternen Neuners.
Auch das Wort „Wolkenbruch“ fällt unter Untertreibung für die Wassermassen, die gestern Abend Check In, Einkaufen und Bunkern fast unmöglich gemacht haben. Totaler Stromausfall über Stunden. Alle paar Sekunden ein Blitz, der die mittelalterliche Festungsstadt Tropea grell erleuchtete. Irgendwo in diesen uralten Mauern kam vor 115 Jahren der berühmteste Sohn der Stadt zur Welt: Albert Anastasia. Er stieg zum mächtigsten Boss der New Yorker Cosa Nostra auf; seine Mörderbande kontrollierte die Docks von Manhattan. In den Docks von Tropea will keiner mehr etwas von Anastasia wissen. Der Tourismus hat die Stadt samt traumhaft schöner Umgebung längst aus ihrem Dämmerschlaf geholt.
Tropea ist ein perfekter Ausgangshafen für einen Törn in den Liparischen Inseln. Doch wir entscheiden uns für den Halbwindkurs Richtung Cetraro. Auf dem ersten Teilstück gibt es keine Möglichkeit sicher zu ankern. Minihäfen mit Wassertiefen, die gerade einmal für kleine Fischerboote reichen. Langgezogene Sandstrände, die bei diesen stürmischen Bedingungen nicht den geringsten Schutz bieten. Nein, danke.
Das Abreiten der Wellen fordert sogar in respektabler Entfernung zur Küste weit mehr Konzentration als der Wind selbst. Vier von fünf Mann bleiben trotzdem fit, der eine Unglückliche büßt für alle die Sünden des letzten Jahrzehnts ab. Da ist schon der eine oder andere Kaventsmann dabei, wie unsere deutschen Freunde eine besonders große Welle nennen; fünf Meter werden allmählich zur Norm. Nur einmal schaffen wir es nicht, einem Brecher auszuweichen. „Ich wollte immer schon wissen, wie sich ein Wellenreiter auf Hawaii in so einer Pipeline fühlt“, schnauft der Rudergänger. Wenn ein paar Tonnen Meer von oben auf die Birne kommen, während man gleichzeitig durch einen türkisfarbenen Wasser-Vorhang die Sonne sieht, ist das im doppelten Sinne atemberaubend. „Das war mindestens der Inhalt eines Swimmingpools“, gibt der Schotmann zu Protokoll. „Nur salziger“, ergänzt der emsige Kollege, der in der Plicht kniend versucht, unversehrte Reste von Salzkeksen, Müsliriegeln und Bananen sicherzustellen.
Ein Hauch von Volvo Ocean Race ist plötzlich spürbar. Nur ohne Konkurrenz, denn Segler haben wir seit Stunden nicht mehr gesehen. Die Motorboote, die dieses Revier dominieren, liegen sowieso im sicheren Hafen. Dafür leisten uns vier Delfine Gesellschaft – beneidenswert, wie sie mit den Wellen und unserem Boot spielen.
Der Halbwindkurs macht trotz (oder wegen) des zweiten Reffs enormen Spaß und bringt uns mehrfach vor Freude zum Jodeln. Der beachtliche Unterschied zwischen den Windgeschwindigkeiten im Wellental und auf dem Wellenkamm erfordert konzentriertes, aktives Segeln. Unsere „Roberta“, eine Bavaria 46 Cruiser, scheint mitzudenken und selbst Spaß zu haben; den zwei Ruderblättern sei Dank. Nach einem besonders lauten Jodler tauchen die Delfine ab. Schade.
Wilde Wetterkapriolen
Das Gewitter, dem wir nicht ausweichen können, empfinden wir als weniger spaßig. Eine höchst ungewöhnliche Wetterlage, die ein paar Tage später an genau diesem Küstenabschnitt schwere Schäden anrichten wird, beginnt sich abzuzeichnen. Die Wolken hängen so tief, als könnten sich jederzeit Tornados bilden. Einige dunkelgraue Rüssel werden gerade noch vom Starkwind verblasen, ehe sie die Wasseroberfläche erreichen. Die Fahrt zwischen Fronten und Gewitterzonen gleicht einem Riesentorlauf. Doch nach unserem Acht-Stunden-Ritt lässt der Wind schlagartig nach und beschert uns kurzfristig Hochsommer.
Das erste Etappenziel Cetraro bietet eine relativ neue und sichere Marina mit einem freundlichen, überaus gesprächigen Hafenkapitän und allen sanitären Anlagen zu vernünftigen Preisen.