Familientörn 2.0

Zur Generation Y zählen jene Menschen, die nach 1980 geboren sind. Also unsere Kinder. Auch die sind älter geworden

Familientörn 2.0

„Großschot dichtholen.“ Keine Reaktion. „Großschot dichtholen!“

Nichts. „GROSS-SCHOT-DICHT-HO-LEN!“ Nach dem dritten Versuch rührt sich endlich einer, fädelt im Zeitlupentempo die Haxen vom Salontisch, nimmt einen der beiden Stöpsel seines Kopfhörers aus dem Ohrwaschel und brüllt schwer übersteuert: „Waaaas?“ Ich antworte vom Ruder aus: „Das heißt ‚wie bitte?‘ – nicht ‚was‘. Also: Großschot dichtholen!“

Sohn: „Das heißt: Bitte Großschot dicht holen.“

Ich (brüllend): „Heut‘ noch, verflucht!“

Sohn: „Ja-ha! Ich geh-he ja scho-hon. Dauernd muss man was hackeln auf dem Schiff. Nicht einmal Musik kann man in Ruhe hören.“

Ich: „Deine Musik kann man grundsätzlich nicht in Ruhe hören.“

Sohn: „Geh, Oida! Was soll das überhaupt für ein Urlaub sein, bitte?“

Ich: „Großschot fieren.“


Sohn: „Na was jetzt?“

Ich: „Dichtholen wäre vor der Landzunge gewesen, die jetzt inzwischen eine halbe Meile hinter uns liegt. Siehst du den rotweißen Leuchtturm da hinten noch?“

Daraufhin reißt sich Frau Tochter, bis dahin vermeintlich im Schönheitsschlaf, blitzartig ihre Ear Phones vom Kopf, schnappt ihr Handy samt Handy-Stick und produziert ein Selfie mit Leuchtturm. Selbiges muss natürlich postwendend geWhatsAppt werden, was aber nicht funktioniert, da hier kein Empfang ist.

Tochter: „Hamma kein WLAN?“

Ich: „Oja.“


Tochter: „Wieso geht der Dreck dann nicht?“

Ich: „Weil ich euch den Pin Code niemals verraten werde.“

Sohn: „Oida, wie soll ich da bitte Battlefield IV spielen?“

Ich: „Gar nicht.“

Sohn und Tochter nehmen einander daraufhin an den Händen, schlapfen in ihren Converse-Schuhen mit offenen Schuhbändern zum Vorschiff, klettern auf den Bugkorb wie einst Kate Winslet und Leonardo DiCaprio auf der Titanic und fliegen davon.

Platsch! Eine Welle erwischt mich voll am Kopf und holt mich aus dem Tiefschlaf. Mein Buch klebt am Teak-Deck. „Reffen!“, brüllt Herr Sohn am Ruder. „Der Wind hat auf 27 Knoten zugelegt und leicht gedreht. Tendenz steigend. Schwester, bleib an der Großschot. Papa, hol die Mama aus dem Salon. Aber heut‘ noch bitte! Ich muss der Fähre da vorn ausweichen!“


„Klar“, sage ich völlig verdattert, aber pflichtbewusst. Nach drei Minuten sind die Segel gerefft. Die Kinder sind halbwegs zufrieden mit uns. Ein traumhafter Segeltag im grellen Sonnenlicht hat gerade erst begonnen. Meine Frau schießt verzückt ein Foto nach dem anderen.

Am Abend hole ich in einer kleinen Trattoria tief ergriffen zu einer Rede aus. Peinlich berührt observieren die Kinder die anderen Gäste, ob eh keiner zuhört. „Kinder“, sage ich mit erhobenem Glas, „Kinder, wir sind alle älter geworden, aber eines muss ich euch sagen …“

Tochter & Sohn (im unnachahmlichen Flüster-Brüll-Ton): „Papaaaa, bitte…“

Okay. Ich habe verstanden. Meine Frau versucht zu deeskalieren: „Schaut, was ich heute für schöne Fotos gemacht hab!‘“
Pause.

„Uijegerl.“

Kurz danach wird allen klar, warum der Frau Mama so plötzlich das Gesicht eingeschlafen ist: Im grellen Sonnenlicht war ihr nicht aufgefallen, dass der Umkehrmodus am Handy aktiviert war. So entstanden 53 Selfies. Eines unschärfer als das andere. Die Kinder kriegen sich bis zur Ankunft des Panna Cotta vor Lachen nicht mehr ein.

Auf dem Weg zurück zum Hafen will ich meine Rede vollenden und beginne mit den Worten: „Ich glaube nach wie vor ganz fest an das Wunder Familientörn ...“ In diesem Moment stolpere ich und falle buchstäblich auf die Schnauze.

So übernimmt der Thronfolger das Schlusswort: „Papa, du hast die Schuhbänder offen!“

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