Gevatters allerletzter Törn

Lehrstunden. Die unverwüstliche Weisheit eines schlauen Seehundes mit Charakter

Gevatters allerletzter Törn

Es ist nicht üblich, eine satirische Kolumne mit einer Todesnachricht zu beginnen. Diesmal mach’ ich eine Ausnahme: Ende Juli hat Gevatter Stangl seinen letzten Törn angetreten. Seine Asche wurde vom Flussschiff MS Carnuntum aus der Donau übergeben. Ein paar Körnderln von ihm werden sicher bald im Schwarzen Meer ankommen.

Partikel von Hunderttausenden seiner Zigaretten treiben sowieso im Mittelmeer herum. „Die Asche hat er praktisch sein ganzes Leben lang auf meinem Schiff verstreut“, sagt sein bester Freund. „Es ist ein wahres Wunder, dass ein Kettenraucher so alt geworden ist.“

Sehen wir vom exzessiven Nikotin-Konsum ab, so war Hans Stangl-Brachnik ein weiser Segellehrer, von dem man unendlich viel lernen konnte. Seine staubtrockenen Sprüche passen noch heute wie die Faust aufs Aug’ zum feuchten Element. „Gevatter, du rauchst zu viel!“ Antwort: „Trotzdem ist es mir noch nicht gelungen, dein deppertes Boot abzufackeln.“ Seine Freunde behaupten, dass er keinen einzigen Waldbrand verursacht habe. Seine Feinde würden sagen, dass auf den Kornaten seinetwegen kein einziger Baum steht. Zum Glück hatte Gevatter keinen Feind. Trotz seiner ruppigen Randbemerkungen.

In einer dalmatinischen Ankerbucht fand zum Beispiel der folgende Dialog statt: „Gehen wir auf den Berg?“ Johanns ebenso kategorische wie diktatorische Ablehnung: „I foa do net auf’s Meer, damit i donn erst wieda auf an Berg aufe muaß!“ Nachsatz: „Was höher ist als der Mast, ist für einen Segler verboten.“ Fortsetzung am nächsten Tag: „Ich werd nie seekrank. Aber bei dieser Welle krieg ich als Rudergänger Höhenangst. Also geh gefälligst ans Ruder, wenn du die Berge so liebhast!“

Verregnete Nachtfahrt in einem vergangenen Jahrtausend irgendwo zwischen Biograd und der Insel Pašman im Rahmen meines Ausbildungstörns mit dem Gevatter als Skipper. Für uns B-Schein-Aspiranten ein anspruchsvoller Slalom in einem unübersichtlichen Wald aus Leuchtfeuern. „Ist das ein Einzelgefahrenzeichen?“, fragt ein zur Hysterie neigender Mitschüler aus Graz in unangemessener Lautstärke. „Ja“, antwortet Hans trocken, „und wenn du es anschreist, bleibt’s trotzdem stehen. Also weich lieber aus ...“

Überfahrt von Ancona nach Kroatien bei Hagel, dann ein April-Gewitter kurz vor Šibenik. Schließlich das Anlegemanöver um Mitternacht in der Süßwasser-Marina von Skradin am Unterlauf des Flusses Krka. Der emsige Grazer hüpft mit der Festmacherleine von Bord und verschwindet auf der anderen Seite des Stegs. Das Wasser hat 11 Grad. Er steckt in einer doppelten Skiunterwäsche-Garnitur unter dem Ölzeug. „B... B... Bin ins Wasser g’fall’n!“ brüllt er. „Des hamma g’sehn. Und jetzt mach des Schiff fest.“ Darauf der entnervte Steirer: „Aber ich bin komplett nass!“ Ein Elfer ohne Tormann für Gevatter: „Soll ma warten, bis du wieder trocken bist? Und außerdem: Was erwartest, wennst ins Wasser fallst? A Marzipan-Glasur?“ Nachsatz: „Schrei no a bisserl lauter, dann bringt dir da Dorfpfarrer a trockene Kutt’n.“

Worauf der ewige Spitzbub allergrößten Wert legte? Die Kartenarbeit samt Logbuch mussten ausschließlich die Prüfungskandidaten erledigen. „Ich vertrau euch blind“, sagte er immer wieder. Das war nicht gelogen: All seine Brillen waren entweder tagelang verschwunden oder so dreckig, dass man verleitet gewesen wäre, den herumirrenden Skipper mit dem Nebelhorn akustisch zu begleiten.

Doch wenn er etwas finden wollte, dann fand er es auch: Nach einer anstrengenden Wache am Ruder und auf dem Vorschiff will ich für die Crew die üppigen Reste des Nachtmahls vom Vorabend aufwärmen. Nach erfolgloser Suche frage ich: „Wo sind denn die verfluchten Ćevapčići?“ In der Sekunde erkennt der schlaue alte Seehund mit seinem passenden Bart, dass es Zeit für eine weitere Lektion ist: „Heute wird uns der liebe Smutje Jürgi beweisen, wie man aus Bordmitteln ein Drei-Gang-Menü schnitzt, auch wenn die Vorräte knapp sind.“ Nachsatz: „Für mich brauchst nix kochen. Ich hab heut so a komisches Völlegefühl.“

JÜRGEN PREUSSER segelt und schreibt seit zehn Jahren für die Yachtrevue. Auf Basis seiner Kolumne entstanden die Bestseller Abdrift 1 – Satire für Segler sowie Abdrift 2 – meer Satire. Soeben erschienen ist der Band Abdrift 3 – Schlagseiten, wie immer mit Zeichnungen von Karikatur-Weltrekordler Reini Buchacher. Alle Bücher sind erhältlich über www.abdrift.at oder juergen@preusser.at.

Weitere Artikel aus diesem Ressort

Ressort Abdrift

Die Cabanossi-Meuterei

Geheimwissen. Fische können seekrank werden, Schweine nicht. Ich bin verwirrt

Ressort Abdrift

Queen Lara I

Goldrausch. Sentimentale Zeitreise mit Sir Ben, Andreas, Hans, Hubert, Nico und Niko – bis zu den ...

Ressort Abdrift

Palermo, wir haben ein Problem

Matchrace. Das dramatische Duell zwischen künstlicher Intelligenz und natürlicher Dummheit

Ressort Abdrift

Ein Oscar fürs Hafenkino

Special Effects. Hinter der einen oder der anderen Komödie verbirgt sich in Wahrheit eine Tragödie

Ressort Abdrift

Die Fähre aus dem Nirgendwo

Manöverkritik. Gelegentlich sollte man touristisches Verhalten überdenken und korrigieren, bevor es ein ...

Ressort Abdrift

Quasti

Vorsätzlich. Für 2024 habe ich den Plan gefasst, mir von niemandem die Laune verderben zu lassen. Schon ...