Katastrophen-Dinner

Meisterköche. Lass’ jeden ans Ruder. Aber überlege dir sehr genau, wer an den Herd darf

Katastrophen-Dinner

Hätte ich doch den Mund gehalten! Seit drei Tagen raunzen zwei Wiener und drei Tiroler um die Wette: Zu dicke, zu dünne, zu kleine Pizza, miserabler Koch, aufdringlicher Kellner, warmer Weißwein, kalter Rotwein. Gut, dann koch’ halt ich! Zuerst verletzt sich ein Tiroler beim Zwiebelschneiden, worauf ich die Frage „Kann ich dir helfen?“ mit „Danke, es ist auch so schwer genug“ beantworte. Als meine Chilli-Tunfisch-Makkaroni wegen irrwitziger und gleichzeitig kümmerlicher Schärfe kritisiert werden, entfleucht mir der fatale Satz: „Ihr könnt ja auch einmal kochen!“
Das lässt sich ein Tiroler Hufschmied nicht zweimal sagen! „Mander, s’isch Zeit zum Einkkkaufen!“, spricht er – und wirft den fürs Einkaufen vorgesehenen Pappkarton neben das Dinghi. Die Katastrophe nimmt Fahrt auf. Vier wild entschlossene, mit Müllsäcken bewaffnete Männer plumpsen in die pralle Gummiwurst. Mein Angebot, eine Einkaufsliste zu erstellen, verhallt, weil der Außenborder wie ein Ötztaler Dammhirsch aufröhrt. „Schleich di vom Gas mit deine Häusldeckel, du deppata Felsenputzer!“ sind die letzten Worte, die ich vernehme. [Nimm deine Klodeckel-Hände vom Gashebel, du mäßig intelligenter Alpenbewohner!]

17:05 Uhr: Stille. Zeit für ein Buch.

Um 21:25 reißt mich der brunftige Dammhirsch aus dem Tiefschlaf, weil er röhrend in den Rumpf der Nachbar-Yacht donnert. „Mit dera Funsn siachst an Schoas, du saubleda Weana!“ vernehme ich. [Mit dieser Grablaterne siehst du ja nichts, du unterdurchschnittlich begabter Hauptstadtbürger]. Irgendwie schaffen es die Männer, zwei prall gefüllte Müllsäcke an Bord zu hieven. Sie sind nur zu dritt: Wiener Nr. 2 ist beim Anlegen auf einen Seeigel gelatscht und befindet sich in häuslicher Pflege bei einer Hebamme mit Pinzette.

Funsn-Weana und Hufschmied beginnen unter wechselseitiger Beflegelung das Kochmanöver. Tiroler Nr. 2, der als einziger zumindest schon einmal im Leben gekocht hatte, hat den Landausflug mit einem winzigen Grappa versüßt und liegt bewusstlos im Dinghi.

Auf dem Vorschiff verfolgen das arbeitsunfähige Zwiebel-Opfer und ich die verstörende Darbietung als Hörspiel. Unter anderem geht es um die Karamellisierung des Fenchels, um das Anschwitzen der Lavendelblüten, um die Zupfrichtung der Salbeiblätter, um die Alleinbenützung der sizilianischen Trüffel-Reibe und um die Obduktion eines Seeteufels. Höchst ambitioniert für zwei Männer, deren Kochkunst bis gestern bei aufgesprungenen Frankfurter Würsteln ihren Zenit erreicht hatte.

Um 22:48 dringen besorgniserregende Gerüche durch die Luken. Der Zwiebel-Tiroler gurgelt inzwischen im Schlaf wie ein Wildbach im Gewitter. Dafür erhebt sich der Grappa-Leichnam im Dinghi, brüllt „Vorspeise, Vorspeise!“ und geht rücklings über Bord. Samt Vorspeise, denn er hatte auf dem vergessenen dritten Einkaufssack geschlafen.
Um 23:36 schnappe ich zufällig eine Frage auf: „Hearst, Felsenputzer, wo is’n da Feuerlöscher?“ Panisch katapultiere ich mich in den Niedergang, werde aber von einer mittelschweren Explosion zurück ins Cockpit geschleudert. Schwarze Rauchwülste quellen hinter der teilweise abgesprengten Backrohrtür hervor. So muss ein toter Keiler nach einem Waldbrand riechen. Daneben prügeln sich les maîtres de la cuisine, weil sie sich über die Art der Schadensbegrenzung nicht in allen Punkten einig sind.

Um 0:41 erwacht der Wildbach und erspäht ein Signal. „Do morscht oana Esch-o-esch, oba om Lond!“ stellt er verwundert fest. [Am Ufer morst jemand SOS.] Es handelt sich um den jetzt stachelfreien Seeigel-Wiener mit der besseren Taschenlampe. Da das Schiff unbewohnbar ist, tuckern wir mit dem Dammhirschen in die Stadt und entsorgten die verkohlten Trümmer.

Um 2:36 steigen wir bei jenem 24-Stunden-Markt aus, an dem der taubstumme Taxler schon um 1:36 vorbeigefahren war, trinken lauwarmes Bier und essen steinharten Käse auf Weißbrot aus der Mussolini-Zeit. Keiner raunzt.

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