Zwischen den Zeiten
Ein winterlicher Streifzug durch die Badeorte der nördlichen Adria hat seinen eigenen Reiz. Verena Diethelm hat sich zum Jahreswechsel unter Segeln auf den Weg nach Venedig gemacht
Alles richtig gemacht. Die Sonne blitzt von einem wolkenlosen Himmel und schickt wärmende Strahlen ins Cockpit, die Adria liegt friedlich vor uns. Nicht sonderlich schnell, aber lautlos gleiten wir dank leichtem Südwestwind über das sanft gekräuselte Meer, weit und breit ist kein anderes Schiff zu sehen. Die Alpen wirken zum Greifen nah, nicht nur die Gipfel sind schneebedeckt. Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder von überfüllten Pisten, langen Schlangen vor dem Lift und Hüttengaudi auf. Kann man, muss man aber nicht. Mein Blick schweift über das unendlich scheinende Blau, ich beiße genüsslich in ein Vanillekipferl und lehne mich rundum zufrieden an die Reling. Genau so hab ich mir das Segeln am vorletzten Tag des Jahres vorgestellt.
Nur schade, dass die Tage im Winter gar so kurz sind. Bereits um 15 Uhr neigt sich die Sonne dem Horizont zu. Als wir unser Tagesziel, die Marina Darsena dell`Orologio in Caorle erreicht haben, bietet uns die Natur zur Begrüßung ein eindrucksvolles Farbenspiel. Der Himmel leuchtet in sämtlichen Orange- und Rottönen, als würde er lichterloh in Flammen stehen. Zu unserer Überraschung ist die Marina, die 480 Liegeplätze inmitten einer Feriensiedlung bietet, nicht komplett verlassen, sogar die weihnachtlich geschmückte Rezeption ist noch besetzt. Auch die Rezeptionistin hat sich herausgeputzt. Bei jedem Lachen – und sie lacht oft über die seltsamen Österreicher, die zu dieser unwirtlichen Jahreszeit herumsegeln – wippen die beiden Elche auf ihrem Haarreifen um die Wette. Wir dürfen am Transitsteg gleich neben der Rezeption längsseits liegen bleiben, erhalten gegen 72 Euro pro Nacht die Schlüssel für Sanitäranlagen und Stromkästchen sowie die Information, dass wir außerhalb der Rezeptionsöffnungszeiten (im Winter bis 12:30 unter der Woche und am Samstag bis 17:30) jederzeit anrufen können, wenn wir etwas brauchen – was erstaunlicherweise tatsächlich funktioniert. Es dauert ein bisschen, bis wir eine ausreichend abgesicherte Steckdose finden, die es mit unseren Heizstrahlern aufnehmen kann, dann haben wir es mollig warm unter Deck.
Inzwischen ist es stockfinstere Nacht und doch geht es bunt weiter – kaum ein Balkon, ein Fenster oder einen Garten in Caorle ist nicht mit blinkenden Lichterketten dekoriert. Selbst die Fischkutter, die den Kanal zur Altstadt säumen, leuchten wie die Bäume am Christkindlmarkt. Ein roter Teppich, der für die Gäste – vor allem Touristen aus Italien – ausgerollt worden ist, führt durch das Caorle Wonderland, das aus Süßigkeiten-Ständen, einem Karussell und einem ebenso gigantischen wie kitschigen Weihnachtsbaum besteht. Am Piazza Vescovado, gleich ums Eck vom Campanile, wurde sogar ein Eislaufplatz aufgebaut. Allerdings laufen die Kinder hier nicht auf gefrorenem Wasser Schlittschuh, sondern auf Hartplastik, was bei vier Grad Außentemperatur und in Zeiten der Energiekrise vermutlich die vernünftigere Variante ist. Die Restaurantbetreiber sparen hingegen nicht mit Energie, sie haben für ihre Gäste Zelte aufgestellt und temperieren diese mit Infrarotheizstrahlern und Gas-Heizpilzen.
Blindflug
Der Morgen graut und diesmal bleibt es Grau in Grau. Über Nacht hat sich Nebel herabgesenkt, der die gesamte Küste in dichte Watte hüllt. Nur kurz hebt er sich und lässt ein paar Sonnenstrahlen durchblitzen. An Land tauchen die Wohntürme von Jesolo auf, auf dem spiegelglatten Meer spiegelt sich die fahle Sonne, darüber ziehen bleiche Schwaden. Ein mystisches Naturschauspiel, das den Unterschied zwischen Himmel und Meer verschwimmen lässt und die Sinne auf die Probe stellt.
Je näher wir Venedig kommen, desto dichter wird der Nebel, bis er sich schließlich wie eine Wand vor uns aufbaut. Angestrengt starren wir in das undurchdringliche Grau und versuchen zumindest irgendwelche Konturen auszumachen, doch vergeblich. Von der Hauptansteuerung nach Venedig ist nichts zu sehen, auch die beiden markanten Leuchttürme Punta Sabbioni und San Nicolo bleiben verschluckt. Wenigstens sorgen die Feiertage und die vierte Welle der Pandemie dafür, dass sich der Schiffsverkehr in Grenzen hält und wir nicht befürchten müssen, dass uns plötzlich ein Kreuzfahrtschiff in die Quere kommt.
Vorsichtig hanteln wir uns von Dalbe zu Dalbe voran und blasen brav alle zwei Minuten ins Nebelhorn. Wenn wir aus der Ferne dumpf ein Motorengeräusch vernehmen, tröten wir sicherheitshalber fünf Mal. Den Vaporetto- Chauffeuren ist das allerdings herzlich egal; von Geschwindigkeitsreduzierung bei eingeschränkter Sicht halten sie anscheinend nicht viel. Sie heizen weiter kreuz und quer, hupen und brüllen uns auf Italienisch an. Leider verstehen wir von ihren Freundlichkeiten kein Wort, halten uns so weit wie möglich am rechten Rand des Fahrwassers und hoffen, dass die Fahrer nicht nur schreien, sondern auch ab und zu auf ihr Radarbild schauen.
Die Erleichterung ist jedenfalls groß, als der Leuchtturm, der die Einfahrt zur Marina auf der Klosterinsel San Giorgio Maggiore markiert, schemenhaft aus dem Nebel auftaucht. Die Marina gehört zum Yachtclub Compagnia della Vela in San Giorgio, der 1911 gegründet wurde, auf eine lange Tradition zurückblicken kann und 1992 beim America's Cup um die legendäre Kanne segelte. Der Großteil der rund 70 Liegeplätze ist für Mitglieder reserviert, es gibt aber auch ein paar Gästeliegeplätze, die im Winter meist verwaist sind. Marinaio Federico freut sich offensichtlich über unseren Besuch, hat aber auf Nachfrage auch keinen guten Rat, wie man die Lagunenstadt bei Nebel am besten ansteuert, ohne die Vaporetto-Skipper zu verärgern. Für den Liegeplatz im Herzen Venedigs kassiert der sehr mitteilsame Federico 60 Euro.
Nach einer heißen, entspannenden Dusche im Clubgebäude machen wir es uns unter Deck gemütlich und heizen mit einem großen Fondue-Topf zusätzlich ein. Draußen macht einstweilen der Nebel sämtliche Hoffnungen auf ein spektakuläres Silvester-Feuerwerk zunichte. Wie wir später erfahren, waren aber in Venedig, wie im Vorjahr auch, aufgrund der Pandemie ohnehin sämtliche Festivitäten abgesagt. Vor Corona wurde das neue Jahr stets mit einem spektakulären Feuerwerk im Becken von San Marco begrüßt, während in Mestre am Piazza Ferretto ein Konzert bis Mitternacht stattfand. Beides soll es heuer wieder geben, vorausgesetzt die Pandemie bleibt unter Kontrolle.
Da sich die Menschen aber zu Silvester vom Feiern nicht abhalten lassen, ist der festlich beleuchtete Markusplatz, der nur eine Vaporetto-Station von der Marina entfernt liegt, mit Gästen aus aller Herren Länder gut gefüllt, als wir eine Stunde vor Mitternacht ankommen. Die meisten Lokale sind geschlossen, in den wenigen, die offen haben, steigt man sich gegenseitig auf die Zehen. Gut, dass wir uns schon an die nasse Kälte gewöhnt haben. Wir bleiben im Freien und ergattern sogar einen Tisch in der ersten Reihe.