Rote Laterne statt Blaues Band
Kleiner Fehler, kostspielige Wirkung und ein Freund fürs Leben
Dies ist die Geschichte einer bunt zusammengewürfelten Crew, die dank minutiöser Vorbereitung bei einer Langstreckenregatta den hervorragenden letzten Platz erringen konnte. Und das kam so:
Skipper aus Innsbruck. Zwei Bodybuilder vom Wörthersee an den Schoten. Pitman aus dem burgenländischen Seewinkel. Taktiker aus dem Mühlviertel. Bugmann aus Fürstenfeld. Zweiter Steuermann aus Simmering. Smutje und Spi-Trimmer in Personalunion aus dem Flachgau. So entstand eine wilde Mischung aus allen österreichischen Tugenden.
Schon am Tag vor dem kollektiven Abflug aus München wurden die Uhren auf UTC umgestellt. Fahrlässiger Weise fliegt die Alitalia aber nach mitteleuropäischer Sommerzeit, weshalb die beiden Bodybuilder vier Stunden lang den Kraftfutterladen im Terminal plündern mussten.
Jetzt werden Sie sagen: Denkfehler vom alten Preusser! Da hätten sie ja nicht zu früh, sondern zu spät kommen müssen. Stimmt, doch hatten die zwei Kärntner ihre Uhren natürlich in die verkehrte Richtung verstellt. Und zwar nicht, weil irgendwelche Muskelpillen ihre Hirnwindungen verklebt hatten. Nein, sie hatten ihren Mobiltelefonen im Sprachmodus den Auftrag zur Umstellung erteilt. Solche Anweisungen verstehen Handys gern falsch.
Von da an lief alles nach Plan. Zumindest bis zur Vorstartphase. „Mander, ’schisch Zeit“, mahnte der Tiroler in bewährter Andreas-Hofer-Manier zum Aufbruch. Nicht ahnend, dass die Regatta längst verloren war, als die Fender noch an der Reling baumelten. Und dass er und seine Mander gut 25.000 Euro in den Sand gesetzt hatten.
Als die Wilde Henne (kein Schmäh!) ins Startareal tuckerte, befand sich der Rest der Flotte am Horizont. „Komisch, dass die die Starttonne so weit draußen auslegen“, wunderte sich der Taktiker. Erst als ein Schlauchboot mit zwei riesigen gelben Bojen im Schlepptau an ihm vorbei zurück in den Hafen tuckerte, wurde er stutzig. Da der Schimpfwortschatz für wechselseitige Anschuldigungen nicht einmal ansatzweise ausgereicht hätte, herrschte Sprachlosigkeit an Bord. Das Rennen hatte vor einer Stunde und siebenundzwanzig Minuten begonnen, der Rückstand erwies sich als unaufholbar, weil die „Wilde Henne“ in der Flaute herumflatterte, während das Regattafeld bei fünf Beaufort raumschots dem fernen Ziel entgegen flog.
Die Ursache für das Totalversagen der gesamten Crew lag in der gemeinsamen österreichischen Sprache: Auf die simple Frage „Wie spät ist es?“ antwortete der Wiener: „Fünf vor Dreiviertel.“ Der Oberösterreicher: „Zehn nach Halb.“ Der Salzburger: „Vierzig.“ Der Kärntner Harry: „Frag den Andi.“ Der Kärntner Andi: „Frag den Harry.“ Der Steirer: „Zwanzig vor.“ Und der Burgenländer: „Frog net so bled.“
Im Prinzip ging es bei allen Antworten um Minuten, nicht um Stunden.
Nach dem Kärntnerischen Flugplatz-Fauxpas wollte der Skipper eigentlich die Weisung ausgeben, die Uhren doch lieber auf italienische Zeit umzustellen. Da er es aber vorgezogen hatte, beim Skipper-Briefing mit dem aus Südtirol stammenden Rennleiter verbal zusammenzukrachen und Nase an Nase lautstark mit ihm zu diskutieren, vergaß er darauf. So blieben die läppischen zwei Stunden Zeitunterschied als kleine Unschärfe erhalten.
Der Südtiroler Mafioso verhängte Dank willkürlicher Regelauslegung auch noch eine Zeitstrafe von einer Stunde, weil die Startlinie bereits abgebaut war, als die Wilde Henne endlich daherkam.
Fünf Tage später – gefühlte fünf Wochen für die komplett zerstrittene Crew – war auch keine Ziellinie mehr vorhanden. Die hatte der Südtiroler als kleine Aufmerksamkeit für seinen Nordtiroler Busenfreund knapp vor dem Eintreffen des gedemütigten Suppenhuhns entfernen lassen. Und ein Deutscher, der mitternachts beim Anlegen helfen wollte, fragte mit einer Dose Bier in der Hand: „Na? Seid ihr ‘ne Runde um Sardinien gesegelt?“
Es war garantiert nur Zufall, dass selbiger wenig später im Hafenbecken plantschte. Für die Crew der Wilden Henne blieb diese Notwasserung das einzige Erfolgserlebnis. Anstelle des fix eingeplanten Blauen Bandes wurde ihr die Rote Laterne überreicht. Und zwar formlos über die Passarella vom Südtiroler höchst persönlich. Dieses Manöver ließ er sich nicht nehmen. Die Siegerehrung war ja seit fünf Stunden vorbei.