Zwei B-Scheinheilige
Es ist kein Zufall, dass die Erinnerungen an meine Segelprüfung in den bisherigen 47 Abdrift-Kolumnen nicht vorgekommen sind
Ein junger Verwandter fragte mich neulich, ob die Prüfung für den B-Schein (FB2) schwierig sei. Zum Glück meldete sich mein Elefantengedächtnis und vereitelte die Antwort: „Das packst du locker!“ Für eine ehrliche Antwort brauchte es aber zwei Krügerl, ein Seidl, zwei Magenbitter und ein Fluchtachterl.
Nüchtern zusammengefasst: Segellehrer Fredl, den ich irgendwo in Niederösterreich abholen sollte, war nicht zu Hause. Nach zwei Stunden traf er ein, war überrascht mich zu sehen und vergaß seine Brille, weshalb wir umkehren mussten. Als wir zum dritten Mal am Schneeberg vorbei kamen, schwärmte ich von unserer Bergwelt, worauf mich Fredl zusammenstutzte: „Segler brauchen keine Berg’. Alles, was höher ist als die Reling, ist zu hoch.“
Mein Konter, dass der Mast ja höher sei als die Reling, machte Fredl wütend: „Oberg’scheite Affen fliegen bei mir über Bord!“ Funkstille bis Udine. Fredl war beleidigt. Danach sägte er den zu hohen Mast um. Sein entartetes Schnarchen amüsierte den Grenzer. Gut so, denn Fredl hatte seinen Pass vergessen.
Die Übungswoche brachte einige Erkenntnisse: Sucht der Lehrer permanent seine Brille, lernt der Schüler echt navigieren. Zwei Kandidaten waren während der gesamten 65 Seemeilen von Italien nach Kroatien seekrank. Fredls Schnarchen übertönte die defekte Rauschsperre des Funkgeräts. Das Mitgefühl der beiden in Sturm und Regen verbliebenen Kandidaten wurde auf eine harte Probe gestellt.
Meldest du der Küstenwache mitten in der Nacht den Ausfall eines Leuchtfeuers in der Krka-Flussmündung bei Sibenik, läufst du Gefahr, in die Anstalt für geistig abnorme Segler eingewiesen zu werden.
Beim Anlegen im Binnenhafen Skradin plumpste einer der eben noch seekranken Kandidaten vom Steg. Mit „Scheiße, ich bin ins Wasser g’fall‘n!“ kletterte er auf den Steg und wurde von Empathie-Bündel Fredl mit den Worten „Des hamma g’seh’n. Und jetz’ moch’ des Boot fest!“ empfangen.
Zurück in Porto San Giorgio betranken sich drei Kandidaten bis zum Verlust der Muttersprache. Das waren diejenigen, die die Prüfungswoche nicht gleich anschließend machen mussten. Ich hingegen wartete auf den Prüfer sowie drei neue Opfer.
Kandidat 1 sagte ab, weil er sich beim Bergsteigen den Knöchel gebrochen hatte. „Wos i immer sog’!“, triumphierte Fredl. „Scheiß-Berg’!“
Kandidat 2 rief aus San Giorgio di Nogara an und fragte, wo wir denn seien. Fredls Antwort: „In Porto San Giorgio. Des san’ eh nur knapp 500 Kilometer! Navigation nicht genügend. Tschau mit au!“
Kandidat 3 hieß Poldi. Er hatte kein einziges Skriptum auch nur ansatzweise durchgeblättert. Im Gegensatz zu mir wusste er aber genau, was zu tun war, weil er seit Jahren mit Frau und Jugo-Patent unterwegs gewesen war. Also sagte ich ihm bei allen theoretischen Fragen ein, was der schwerhörige Prüfer Kurtl nicht bemerkte, und Poldl half mir im Gegenzug bei heiklen Handgriffen, was wiederum Fredl, der nun als zweiter Prüfer fungierte, nicht mitbekam. Weil er seine Brille verlegt hatte.
Irgendwann bemängelten Kurtl und Fredl unsere Arbeitsteilung doch, worauf ich unsere Taktik B-scheinheilig als „perfekte Seemannschaft“ rechtfertigte. Fredl bestrafte mich für diese Chuzpe, indem er uns nachts bei fünf Beaufort mit der Notpinne steuern ließ. Ausgerechnet in dieser Phase stellte uns die Küstenwache. Fredl gab vor, seinen Pass zu suchen, der auf einem Nachtkastl in Oberwaltersdorf lag. Dabei fand er seine Brille.
Auf Knien bettelte ich den Offizier an, er möge unseren Prüfer doch um Himmels Willen nicht verhaften, weil wir uns sonst die Prüfung in die Haare schmieren müssten. Der Beamte gab nach. Kurtl und Fredl waren entzückt, weshalb für Poldi und für mich je ein Segelschein ausgestellt wurde. Zum Glück nicht ein gemeinsamer, obwohl das gerechter gewesen wäre.