In Reichweite
Rund um meinen 60er mit der besten Ehefrau von allen eine Woche in Israel. Am letzten Tag Abstecher an die Mittelmeerküste, zwei Stunden Strand bei Naharija, etwas nördlich von Akko. Meine déformation professionnelle schlägt durch, daher Blick auf Windrichtung und -stärke sowie Segelaktivitäten: 6–7 Knoten aus rund 300 Grad, zwei Gruppen von Optimisten sowie zwei Laser. Das seglerische Niveau, gemessen an Manövern und Starts, nicht besonders hoch, aber durchaus akzeptabel. Mein Blick schweift nach Norden zur Hügelkette, die zum Meer hin steil zu den weißen Kalkfelsen von Rosch haNikra abfällt und gleichzeitig die Grenze zwischen Israel und dem Libanon an diesem nordwestlichsten Zipfel des Landes bildet. Idyllisch.
Idyllisch? Nicht ganz, wie sich am Abend im Moschaw Netiv HaSchayara in der Nähe des Strandes herausstellt. Ein Moschaw ist, verkürzt gesagt, eine Art von Siedlungsform und landwirtschaftlichem Kollektiv, wo es aber anders als ursprünglich in einem Kibbuz auch Privateigentum gibt. Im Gespräch mit einem altgedienten Mitglied des Moschaw höre ich diverse, im Rückblick durchaus auch komische Geschichten darüber, wie mit dem vereinzelt aus buchstäblich heiterem Himmel erfolgenden Artilleriebeschuss durch Gruppierungen aus dem Libanon umgegangen wurde.
Meine Gedanken wandern zurück an den Strand. Segeln in Reichweite von Artilleriegeschützen? Nachwuchstraining mit Blick auf die Grenze, hinter der nicht nur das Ungewisse, sondern ganz real der mögliche Tod in Form von „Bomben und Granaten‘“ lauert? Ich weiß schon, derzeit kein heißer Konflikt an dieser Stelle, sondern sehr viel stärker mit den Palästinensern rund um Jerusalem. Aber trotzdem: Wie geht es Kindern und Jugendlichen, die bei der Suche nach der Boje ständig die patrouillierenden Schiffe der israelischen Marine vor Augen haben? Was spielt sich bei Eltern und Trainern ab, wenn sie ihren Schützlingen beim Aufriggen und Slippen helfen? Wie würde ich reagieren, in Bezug auf mich selbst, auf unsere Kinder? Fragen, die ich nicht beantworten muss, die mich aber sehr nachdenklich machen. Jedenfalls Chapeau vor jenen, die in dieser Gegend segeln …