Neues Buch über die Titanic
Alles über Konstruktion und Technik der Titanic. Plus: Interview mit dem Autor!
Heute vor genau hundert Jahren sank die Titanic – eine Tragödie, die die Menschen bis heute beschäftigt und berührt. Anlässlich dieses Jahrestags erschien im Delius Klasing Verlag ein passendes Buch („Titanic – Konstruktion und Technik einer Legende“, 29,90 Euro), in dem die britischen Autoren David F. Hutchings und Richard de Kerbrech alles über Konstruktion und Technik der Schiffslegende verraten. Übersetzt hat es der Hamburger Schiffbau-Ingenieur und TITANIC-Experte Klaus Neumann; in folgendem Interview spricht er über die Hintergründe der Katastrophe:
Die TITANIC galt bei ihrem Stapellauf als unsinkbar. Gab es letztlich doch technische Mängel oder Konstruktionsfehler, die zum Untergang des Luxusliners am 15. April 1912 führten?
Neumann: Im Sinne der damals geltenden Bauvorschriften hatte die TITANIC keine Mängel oder Konstruktionsfehler aufzuweisen, sonst hätten die Zulassungsbehörden sie nicht fahren lassen. Aus heutiger Sicht würde man nach oben offene Schotten nicht mehr als wasserdicht und Schiffe damit nicht als unsinkbar bezeichnen. Ich vergleiche das mal mit einer frisch mit Wasser befüllten Eiswürfelschale mit eingelegtem Wabengitter, die ich ins Eisfach zu balancieren versuche, ohne dass Wasser überschwappt. Und ein Deich oder eine Flutschutz-mauer ist auch nur bis zu einer bestimmten Pegelhöhe wasserdicht. Das Schiff galt eben nur als unsinkbar im Sinne der vorgegebenen Rahmenbedingungen. Darüber hinaus gehende Szenarien wurden einfach ausgeblendet. Weiter verweisen die Autoren des Buches auf ein nicht genügend großes Ruderblatt und Mängel an den Außenhautnieten, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei den hervorragend gebauten Rettungsbooten bestand der „Konstruktionsfehler“ in der zu geringen Anzahl der Boote. Ein Laie könnte sich natürlich die Frage stellen, warum ein als unsinkbar geltendes Schiff überhaupt Rettungsboote benötigt.
Welche wesentlichen Konstruktionsmerkmale unterscheiden heutige Kreuzfahrtschiffe von der TITANIC?
Neumann: Im Laufe von 100 Jahren wurde vieles verändert und verbessert. An den Schwesterschiffen OLYMPIC und BRITANNIC wurde unmittelbar nach der TITANIC-Tragödie technisch nachgebessert. Schottwände sind heute von Deck zu Deck geschlossen, der Schiffskörper ist geschweißt statt genietet und besteht insgesamt aus höherwertigem Stahl. Je nach Fahrtgebiet verfügen Passagierschiffe heute über abgestufte Eisklassen mit entsprechenden Verstärkungen. Die Ausstattung für den Notfall umfasst über Boote und Rettungswesten hinaus eine breitere Palette an Rettungsmitteln in ausreichender Menge. Elektronik macht heute sicheres Navigieren und frühzeitiges Erkennen von Hindernissen um einiges leichter. Das Echolot beispielsweise kam erst nach der TITANIC auf den Markt. Heute hat es fast jedes Sportboot an Bord. Moderne Steuersysteme mit hochwirksamen Rudern, Bugstrahler und Gondelantriebe mit größerem Wirkungsradius erlauben schnellere Kursänderungen.
Durch das Unglück der Costa Concordia wird intensiv über die Sicherheit von Kreuzfahrtschiffen debattiert. Wurde diese Diskussion nach dem Untergang vor einhundert Jahren unter ähnlichen Gesichtspunkten geführt?
Neumann: Seeamtsverhandlungen nach Schiffsunglücken gab es schon lange vor der TITANIC-Katastrophe. Die Richter stützen sich neben den offenkundigen Beweismitteln und den Aussagen der beteiligten Zeugen vor allem auf das Expertenwissen von Sach-verständigen. Das ist heute nicht viel anders. Was damals fehlte, ist die intensive mediale Begleitung solcher Unglücksfälle wie wir sie heute kennen. Im Falle der TITANIC gab es in der öffentlichen Diskussion sicher einen Wachrütteleffekt in Bezug auf den Irrglauben, das Schiff sei unsinkbar. Parallel dazu begann die Suche nach Schuldigen. Letzten Endes dürfte die Öffentlichkeit darauf vertraut haben, dass Industrie und Behörden ihren Job machen und in der Folge technisch verbesserte Schiffe mit höherem Sicherheitsstandard in Verkehr gebracht werden. Auch wenn heute trotz erheblich verbesserter Standards niemand ernsthaft an ein unsinkbares Schiff glauben mag, war der Schock nach dem Unglück der Costa Concordia groß. Wer sich heute beim Rangieren mit dem Auto in die Parklücke von Abstandssensoren helfen lässt, kann schwer nachvollziehen, warum nicht ähnliche Systeme ein Kreuzfahrtschiff von gefährlichen Klippen fernhalten können. Trotz ihrer Perfektion sind alle modernen Schiffsysteme Menschenwerk, wie andere Systeme übrigens auch, denen wir oft allzu leichtfertig vertrauen.
Der Untergang der TITANIC beschäftigt die Menschen auch heute noch und befördert auch aktuell den „Mythos TITANIC“. Worin sehen Sie die Ursachen dafür?
Neumann: Da kommt einiges zusammen, was möglicherweise den Mythos TITANIC ausmacht. Auf das Schiff bezogen mögen sich der Ruf der Unsinkbarkeit, die Größe, Ausstattung und Maschinenleistung des Giganten und die Tatsache, dass sich das Unglück auf der Jungfernreise ereignete, im Bewusstsein der Menschen verankert haben. Hinzu kommen Geschichten vom unglaublichen Reichtum der First-Class-Passagiere, vom für damalige Verhältnisse unvorstellbaren Luxus, mit dem diese sich auch an Bord bis zuletzt umgeben haben. Verbunden mit Spekulationen darüber, welche Geheimnisse auf dem Meeresgrund bewahrt liegen, wird zumindest der „Mythos TITANIC“ niemals untergehen.
Übrigens: Auch in der aktuellen Yachtrevue findet sich ein ausführlicher Bericht über Prunk und Pracht der Titanic sowie jene fatalen Fehler, die zu ihrem Untergang führten!
Und wer dem Nachwuchs die tragische Geschichte der Titanic nahe bringen möchte – es gibt auch spezielle Kinderbücher zum Thema, zum Beispiel diese zwei, die jeweils ab acht Jahren geeignet sind:
Philip Wilkinson, Titanic - Untergang eines Traums, cbj, München, 64 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-570-15395-6.
Martin Jenkins/Brian Sanders, Titanic, Verlag Friedrich Oetinger, 32 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-7891-8415-4.