Faszinierend fremd
In den Gewässern vor Enoshima werden 2020 die Olympischen Segelbewerbe über die Bühne gehen. Der Nationalkader des OeSV hat sich mit dem trickreichen Revier bereits angefreundet
Etwa 40 Kilometer südwestlich von Tokio liegt mit Enoshima jene Location, in der bereits 1964 die Olympischen Segelbewerbe stattfanden. „Insel in der Bucht“ bedeutet dieser Name und das trifft die Gegebenheiten ganz genau. Enoshima ist ein kleines Eiland mit einem Durchmesser von rund vier Kilometern, situiert im weit ausladenden Golf von Sagami nahe einer Flussmündung. Mit dem Festland sowie der 500.000-Einwohner-Stadt Fujisawa ist das Inselchen über einen schmalen Küstenstreifen sowie eine rund 600 Meter lange Brücke verbunden. Spaziert man über diese Richtung Enoshima, sticht einem zur Linken sofort eine weitläufige, sich an Land über 28.000 m2 erstreckende Hafenanlage ins Auge. Sie bietet über tausend Yachten Platz, Kernstück ist ein auffälliges zweistöckiges Gebäude. Dieses „Yacht Club House“ wurde im Juni 2014 offiziell eröffnet, darin untergebracht sind nicht nur die Räumlichkeiten des lokalen Yachtclubs, sondern auch ein nautischer Shop sowie ein Restaurant. Zwei namhafte japanische Architekten zeichnen für den Entwurf verantwortlich, das geschwungene Dach, von dessen Terrasse aus man einen wunderbaren Blick über die Bucht hat, soll einer Welle nachempfunden sein.
Im Oktober 2017 gingen hier auch die Seglerinnen und Segler des OeSV-Nationalteams ein und aus. Sie verbrachten rund einen Monat vor Ort um das Olympiarevier 2020 kennen zu lernen und sich mit den spezifischen Gegebenheiten vertraut zu machen; den Abschluss bildete die Teilnahme an der Olympic Week). Ab 2018 werden Boote und Container bis zu den Spielen durchgängig in Enoshima stationiert bleiben.
„Ein paar grundlegende Erkenntnisse über die Verhältnisse konnten wir bereits gewinnen“ zieht der 470er-Vorschoter Lukas Mähr eine erste Bilanz. Der Vorarlberger hat ebenso wie sein Steuermann David Bargehr die meisten Segeleinheiten vor Enoshima in den Knochen, da die beiden bereits im August drei Wochen hier waren. Im Rahmen dieses Trainingsblocks nahm das Weltklasse-Team auch an den japanischen Staatsmeisterschaften teil. Die Japaner, die bei den Spielen in Rio hinter Großbritannien, Neuseeland, Frankreich und den Niederlanden als fünftbeste Segel-Nation beeindruckten, gehören speziell im 470er zur absoluten Oberliga. Nicht ohne Grund: Die Zwei-Personen-Jolle wird an japanischen Universitäten in einer eigenen nationalen Liga eingesetzt und ist enorm verbreitet; es gibt über 400 aktive 470er-Seglerinnen und -Segler in Japan, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Dementsprechend hoch war das Niveau bei der lokalen Meisterschaft, an der 110 Teams teilnahmen. „Eine tolle erste Standortbestimmung gegen sehr starke Konkurrenz, noch dazu genau zu der Zeit, in der 2020 um die Medaillen gekämpft wird,“ urteilt Mähr.
Alles ist möglich
Gesegelt wird bei Olympia mehr oder weniger rund um die gesamte Halbinsel, wobei es keine großen Unterschiede zwischen den diversen Bahnen geben dürfte – ganz anders als in Rio. Bestimmend für die Taktik sind lokale Effekte, etwa entlang der Küstenlinien drehende Winde oder Strömungen, die das OeSV-Team erst kennenlernen und verstehen muss.