Von seltenen und hohen Tieren
Die Ionischen Inseln sind Spielplatz der Superreichen, die grüne Seele Griechenlands, Heimat des Odysseus’ und Traumrevier für gewollte Irrfahrten. Jürgen Preusser hat an diesen Archipel längst sein Herz verloren
„Dein Leben entscheidet sich in den Ionischen Inseln.“ Nein, dieser Satz stammt nicht von Aristoteles Onassis. Auch nicht von Odysseus, der die zentral gelegene Insel Ithaka als seine Heimat ansah. Der Satz stammt von Herbert, der weder Milliardär noch professioneller Irrfahrer ist, nicht mit Jackie Kennedy verheiratet war und auch nicht per Schnellboot zur Opern-Diva Maria Callas düste, um bei ihr ein Gesangsstündchen zu nehmen. Dafür hat Herbert neun Mal die legendäre Langstrecken-Regatta Ecker-Cup bestritten. Und, im Gegensatz zu Odysseus, immer problemlos wieder nach Hause gefunden. Entsprechend breitspurig sitzt Herbert im Marina-Café von Lefkas und lässt sich Ham and Eggs servieren.
Seine Weisheit, dass sich das Leben in den Ionischen Inseln entscheide, hat auch nichts mit der Philosophie des echten Aristoteles zu tun, sondern ist einem anderen Umstand geschuldet. Die Ionischen Inseln können in der Jahreszeit, in der Langstreckenrennen üblicherweise stattfinden, ziemlich bösartig sein. Ende Oktober trifft man im Revier zwischen Korfu und Zakynthos auf Flautenfelder, die Boote geradezu anzusaugen scheinen. Oft treibt man stundenlang in die falsche Richtung, vor allem, wenn man sich auf die kryptischen Strömungsangaben verlassen hat, die hier so verlässlich sind wie die Prognosen der Meinungsforscher vor einer Wahl.
„Wer Korfu oder Kefalonia zu nahe kommt“, ergänzt Herbert, „der kann von dort gleich nach Hause fliegen.“ Kleine Korrektur: Kann er nicht. Denn ab 1. Oktober ist der Flugplan etwa so dicht wie das Haar von Telly Savalas alias Kojak, einem Sohn griechischer US-Einwanderer. Um einen vernünftigen Heimflug zu erwischen, muss man schon die fünfstündige Busfahrt nach Athen in Kauf nehmen. Apropos Kojak: Als die Krimiserie „Einsatz in Manhattan“ noch hoch im Kurs stand, soll sich auf Lefkas, Ithaka und Kefalonia ein Mann als Kojaks Zwillingsbruder ausgegeben und an völlig unbedeutenden Plätzen Touristen mit frei erfundenen Storys aus dessen Kindheit unterhalten haben. Odysseus war also bei Zeus nicht der einzige G‘schicht’ldrucker der Ionischen Inseln.
Die Existenz der Mittelmeer-Mönchsrobbe, die Homer in einer Episode der Odyssee beschreibt, ist aber kein G‘schicht’l. Und wird hoffentlich auch nie zu einem werden. Nur noch einige wenige Exemplare leben zwischen Kefalonia und Zakynthos, es handelt sich um die am stärksten bedrohte Tierart Europas; die Wahrscheinlichkeit, dass man so einem 300-Kilo-Bröckerl begegnet, entspricht der eines Lottosechsers. Die Robben fühlen sich von Booten aller Art – ja, auch von Segelyachten – bedroht. In den Nördlichen Sporaden, also am anderen Ende Griechenlands, wurde deshalb ein Schutzgebiet für sie errichtet.
Mirakulöses Mikroklima
Zurück zu den Regatta-Legenden, die sich hier abgespielt haben sollen. Tatsächlich hat der Saugeffekt der Inseln Korfu und Kefalonia schon vielen Seglern Ungemach bereitet, sei es in Form von bleierner Flaute, Blitz und Donner, unberechenbaren Sturmböen oder Tornado-ähnlichen Luftgebilden. Ich selbst habe hier beim Pitter-1000-Meilen-Rennen während einer elfstündigen Gewitter-Serie statt einer vernünftigen Kurslinie ein Kunstwerk auf mein iPad gezaubert, das an ineinander verschlungene Violinschlüssel erinnerte …
Apropos Musik: Zwischen den Inseln bleibt die Melodie des Windes meist harmonisch. Wer hier Segelurlaub macht, bewegt sich in einem geschützten Revier, fast wie auf einem Binnensee. Man befindet sich in einem Kleinklima, einer Art Glashaus.