Kanarische Inseln
In dem wildromantischen Archipel, der geographisch zum Schwarzen Kontinent zählt, kommen Segler voll auf ihre Kosten
Aus dreitausend Metern Tiefe wuchsen sie über Jahrmillionen aus dem Meer: Fuerteventura, Lanzarote , Gran Canaria, La Gomera, Teneriffa, La Palma und El Hierro. Namen, die für mich wie eine Verheißung klingen. Geologisch betrachtet sind es junge, ozeanische Inseln vulkanischen Ursprungs, jede für sich ein eigener Kosmos mit beeindruckenden Bergwelten und bizarren Küstenlandschaften, der auf Entdeckung wartet.
Unsere Reise startet in der Stadtmarina von Las Palmas auf Gran Canaria. Dort liegt Enya, die elf Meter lange und fast 40 Jahre alte kuttergetakelte Ketsch meines Mannes, die uns in den nächsten Wochen bis zu den Kap Verden bringen soll. Sie ist eine unter vielen: 270 Yachten werden hier gerade auf die Atlantic Rally for Cruisers vorbereitet. Ich bin ein Rädchen in einer gigantischen Maschinerie, putze und poliere im Mastenwald, träume in der Hitze der Nacht von kühler Herbstluft und feuchtem Morgentau. Die Begleitmusik dazu kommt von der sechsspurigen Stadtautobahn und der Russencrew vom Nebenschiff, die mein lärmempfindliches Hirn mit Disco-Klängen malträtiert. Wohlig fühlt sich anders an. Thomas hingegen ist in seiner Welt angekommen. Als Bootsbauer und Segelmacher erfüllt es ihm mit großer Befriedigung sein schlafendes Schiff zu wecken und für die große Fahrt flott zu machen.
Nach einer Woche Arbeit ist die alte Lady wieder in Topform und es kann endlich losgehen. Die Kanaren sind ein ideales Segelrevier für alle, die die Welt zu Land und zu Wasser erkunden wollen. Während wir zu Fuß oder mit dem Mietauto durch die Gegend streifen, liegt Enya sicher und kostengünstig in einer der zahlreichen Marinas, deren Hafenmolen wahre Bollwerke gegen die tosende Brandung des Atlantiks bilden. Seefeste Romantiker, die sich an Rollbewegungen nicht stören, finden auf den Kanaren aber auch jede Menge einsamer Buchten. Wobei: Viele sind das nicht, fällt uns auf. Wir lassen Enya vier Mal vor Anker alleine, während wir uns auf Besichtigungstour begeben. Wir folgen erstarrten Lavaströmen auf ihrem Weg zum Meer, blicken in riesige Kraterkessel und besichtigen unterirdische Lavablasen, Enya schaukelt einstweilen brav im Atlantik.
Die Überfahrten zwischen den Inseln nutze ich zum Schreiben und Kochen. Gebraten, gedünstet oder in Salzkruste erfreuen die mit der Schleppangel erbeuteten Goldmakrelen unsere Gaumen. Thomas hört sich mit stoischer Geduld meine Ausführungen über die rätselhaften Ureinwohner der Kanaren an, die 2500 v. Christus über das Meer kamen. Mir hilft die Kenntnis der Geschichte die Gegenwart jener Länder, die ich bereise, besser zu verstehen. Die Guanchen, jene hochgewachsenen, blonden Steinzeitmenschen der Kanaren, waren ein Volk von tapferen Kriegern. Fast ein Jahrhundert lang hielten sie die europäischen Konquistadoren in Schach und hatten ausgeprägte Moralvorstellungen.
Sie gründeten Königreiche, errichteten Pyramiden und Kultplätze und mumifizierten ihre Toten wie die alten Ägypter. Ihre Könige führten einen vorbildlichen Lebenswandel, Frauen bekleideten das Priester- und Richteramt. Vielerorts erinnern überlebensgroßen Bronzestatuen an die Altkanarier, die um 1340 n. Chr. von den Erobern überfallen, versklavt, ermordet und so gut wie ausgerottet wurden.
Feuerspuckender Schlund
Auch auf Lanzarote ist die Geschichte der Vulkaninseln allgegenwärtig. Wer die Mondlandschaft der Feuerberge sieht, kann sich nur zu gut vorstellen, was los ist, wenn sich die Erde öffnet und Feuer spuckt. Die Tagebuchaufzeichnungen des Pfarrers Don Andres Lorenzo lesen sich wie das Drehbuch eines Horror-Sciencefiction-Films. In eindringlichen Worten beschreibt er die Ereignisse in den Jahren 1730 bis 1736, als die Vulkane auf Lanzarote ausbrachen: „In der ersten Nacht erhob sich ein riesenhafter Berg aus dem Schoß der Erde, aus dessen Gipfel Flammen schlugen, die unaufhörlich brannten. Die Lava strömte über die Dörfer hinweg, setzte ihren Weg bis zum Meer fort, wahrhafte Katarakte bildend. Eine Unzahl verendeter Fische trieb an der Oberfläche des Meeres. Das Vieh erstickte an scheußlich stinkenden Dämpfen und dichtem Rauch, der von blauen und roten Blitzen durchdrungen war, gefolgt von gewaltigen Donnerschlägen."
Als die Erde zur Ruhe kam, war ein Drittel von Lanzarote schwarze Lavawüste. Erstaunlich, wie die Einwohner dieser Landschaft des Schreckens eine Kultur der Ordnung entgegensetzt haben.