Bella Italia
Die Pontinischen Inseln westlich des Golfs von Neapel sind nicht sonderlich berühmt und doch mehr als sehenswert. Davon konnte sich Werner Meisinger bei einem Lokalaugenschein per Charteryacht persönlich überzeugen
Vor Neapel liegt ein wundervolles Meer. Procida, Ischia und Capri sind seine berühmten Inseln – Capri als Sehnsuchtsort der reichen und geschmackssicheren Weltenbummler, Ischia, das sich aus der Beschaulichkeit einer Kurdestination zur boomenden Allferieninsel gewandelt hat, Procida, ein traditionsreiches Zentrum der Seefahrt mit einer bis heute gut besuchten Hochschule für angehende Seeleute.
Wenn man nicht hinaus zu den Inseln fährt, sondern sich an die Südküste des Golfs von Neapel hält, erreicht man bald nach Punta Campanella die Steilküste zwischen Positano und Amalfi. Bis in den immergrünen Buschwald stapeln sich bunte Häuserzeilen und Villen mit Arkaden, Terrassen und Erkern, davor liegt das azurblaue Meer, darüber spannt sich, dekoriert mit weißen Wolken, der strahlende Himmel, ein Musterbild von „Bella Italia“.
Vielfach ist dieses Revier beschrieben worden, auch in diesem Magazin. Vergleichsweise wenig kann man über jene Inseln lesen, die weiter draußen liegen: die Pontinischen Inseln. Sechs Stück bilden verstreut einen kleinen Archipel westnordwestlich des Golfs von Neapel. Nur zwei davon, Ventotene und Ponza, sind ständig bewohnt. Jeweils ein Ort gleichen Namens liegt auf diesen Inseln, insgesamt leben hier nur wenig mehr als viertausend Menschen. Allein Ischia hat fünf Mal so viele Bewohner aufzuweisen.
Obwohl die Pontinischen Inseln am Radar des Welttourismus kaum Spuren hinterlassen, haben sie eine stattliche Fangemeinde. Reisende mit einem guten Gespür für spezielle Orte – überwiegend solche, die in der Region am Festland zu Hause sind – kommen im Sommer zur Erholung an die feinsandigen Strände. Das Einzugsgebiet ist beträchtlich und umfasst Ballungsräume wie Rom und Neapel. Nicht weniger als zehntausend Betten werden auf Ponza für Gäste bereit gehalten. Zweieinhalb davon kommen also auf jeden „Pontiner“. Mit dieser Tourismus-Kampfquote schlägt Ponza weit bekanntere Destinationen deutlich. In Kitzbühel beispielsweise steht das Bewohner/Gästebett-Verhältnis bei 1:1.
Zu den Hotel- und Pensionsgästen kommen noch mobile Besucher auf Schiffen. Bis zu viertausend Yachten treiben sich in der Hochsaison in den Pontinischen Inseln herum. Zwar bilden Ponza und das benachbarte Palmarola zahlreiche Buchten, doch die Hauptlast des Verkehrs trifft den Hafen von Ponza. Ein halbes Dutzend Minimarinas mit Schwimmstegen bieten dort Liegeplätze, der Ankergrund ist weiträumig, doch wenn Yachten in Armadastärke einfallen, ist der Hafenkapitän zu drastischen Maßnahmen gezwungen. In den letzten Jahren musste die Bucht vor dem Ort Ponza mehrfach für Sportboote gesperrt werden, um für den Berufs- und Fährverkehr Raum frei zu halten. Zu Ferragosto, wenn das Volk Italiens von einem kollektiven Reisezwang erfasst wird, herrscht hier der Ausnahmezustand in Extraklasse.
Zur rechten Zeit am rechten Ort
Zu dieser Zeit wollten wir dort nicht hin. Wir reisten vielmehr im Frühling dieses Jahres, gleich nachdem die lästigsten Corona-Restriktionen kassiert worden waren, und durften ein wahrhaft bezauberndes Fahrtgebiet erkunden.
Die dafür nötige Charteryacht übernahmen wir in Procida, das von Neapel mit der schnellen Fähre in vierzig Minuten zu erreichen ist. Von Procida führte der erste Schlag über 25 Meilen nach Ventotene. Weit übers Meer grüßt die Ventotene vorgelagerte Insel Santo Stefano. Auf deren Plateau thront eine Festung. Sie diente nicht der Abwehr von äußeren, sondern der Verwahrung von inneren Feinden. Vor gut 200 Jahren wurde die Anlage als Gefängnis errichtet und diente diesem Zweck bis 1965. Seither ist das Gebäude ein Geisterschloss mit vielen vor sich hin rostenden Schlössern. Individuell erkunden kann man es nicht, denn Santo Stefano ist Sperrgebiet, ankern oder an der kleinen Mole anlegen daher verboten. Wer sich dem Kitzel einer Kerkerbesichtigung hingeben will, kann in Ventotene eine Führung buchen.
Ventotenes Geschäfte mit den Gefangenen auf Santo Stefano liefen offenbar bestens. Man spürt im Ort einen solide gewachsenen Wohlstand.