Lebendige Geschichte
Der äußerste Westen Europas hat viel zu bieten: eine quirlige Metropole und urige Fischerorte, Atlantikwellen und Flussmündungen, kilometerlange Sandstrände und schroffe Kaps
Das waren noch Zeiten, als es fremde Länder, Inseln, ja sogar ganze Kontinente zu entdecken gab. Viele der großen Expeditionsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts nahmen in Portugal ihren Anfang oder ihr Ende. Dieses Vermächtnis und die tiefe Verbundenheit der Portugiesen mit der Seefahrt sind bei einem Törn entlang der geschichtsträchtigen portugiesischen Westküste rund um Lissabon allgegenwärtig.
Auch uns drängt es auf den Atlantik hinaus, obwohl der Ausgangshafen Cascais, ein ehemaliges Fischerdorf, das Mitte der 19. Jahrhunderts zu einem angesagten Urlaubsort mutierte, eigentlich eine ausgiebige Erkundungstour zu Lande rechtfertigen würde. Die moderne Marina liegt direkt zu Füßen der ehemaligen königlichen Sommerresidenz Cidadela, Altstadt und Strände sind in unmittelbarer Gehweite und der benachbarte Clube Naval de Cascais ist Austragungsort von so hochrangigen Veranstaltungen wie America's Cup World Series, RC44 oder Panerai Classic.
All das lassen wir hinter uns, als wir frühmorgens auslaufen, um rechtzeitig vor dem Ebbstrom an unserem Ziel anzukommen. Mit dem auffrischenden Nortada, der Atlantikwelle im Rücken und Kurs auf Cabo Espichel erwacht unser Entdeckergeist jedoch schnell. Mit jeder Meile entfernen wir uns von den im Ballungsraum stark verbauten Ufern, die schließlich in die Costa do Sol übergehen, einen Küstenabschnitt, an dem sich auf 20 Kilometern ein Sandstrand an den nächsten reiht.
Was für Vasco da Gama, den Entdecker des Seewegs nach Indien, das Kap der Guten Hoffnung war, ist für uns das Cabo Espichel. Palmayachts-Chef Riu Palma hat uns vorgewarnt, dass der Wind rund um das Kap von 0 auf 15 Knoten zulegen kann und wir besser einen Sicherheitsabstand halten sollten. Die flache Küste mündet dort in die Ausläufer der Serra da Arrábida, eine Bergkette, die zwischen Kap und Setubal von 160 Metern auf rund 500 Meter ansteigt. Über den Klippen thront ein Leuchtturm, der einst mit Olivenöl befeuert wurde. Tatsächlich frischt der Wind auf rund 30 Knoten auf, sodass wir das zweite Reff einbinden und mit acht Koten um das Kap rauschen. Da alle Versuche, telefonisch einen Liegeplatz rund um Setubal zu reservieren, fehlschlagen, machen wir auf halben Weg kehrt und kreuzen zurück nach Sesimbra.
Der kleine, 6.000 Einwohner zählende Fischerort, der im Sommer von Touristen überschwemmt wird, ist gut gegen Stürme geschützt, aber bekannt für starke nördliche Winde, die am späten Nachmittag aufkommen. Die Marina wird vom hiesigen Yachtclub geführt, befindet sich zwei Kilometer vom Ort entfernt und bleibt von den Fallböen nicht verschont. Wie diese übers Meer fegen, kann man wunderbar von der ehemaligen maurischen Festung am Berg beobachten. Wer gut zu Fuß ist, marschiert in rund einer Stunde dort hinauf, Gehfaule nehmen ein Taxi für sieben Euro. Im Mittelalter beherbergte das Castelo mit seinen fünf Türmen den gesamten Ort, erst im 16. Jahrhundert zogen dessen Einwohner an die Küste. Die Burg ist von sieben bis 20 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.
Nach dem Ausflug in die Vergangenheit macht sich Hunger breit. Entlang der Uferstraße, die von Fischfabriken, Kühlhäusern und Fischgroßhändlern gesäumt ist, soll es auch eine Reihe guter Fischlokale geben. Welches wir wählen, ist laut Riu Palma egal. „In Portugal gibt es keine schlechten Restaurants“, hat er uns versichert – und behält damit recht. Das familiengeführte Tic-Tic wirkt sehr schlicht und versprüht den Charme einer Bahnhofskantine, ist aber eine Top-Adresse für Fischliebhaber. Fisch und Meeresfrüchte sind fangfrisch und in einer Glasvitrine zu begutachten. Das Choco-Frito, die in Streifen und nicht in Ringe geschnittene, portugiesische Variante von Calamari Fritti, ist unglaublich zart und schmackhaft.
Fernweh
Den Blick auf die Weiten des Atlantiks gerichtet, wacht die Statue des wohl berühmtesten Seefahrers Portugals, Vasco da Gama, über dessen Geburtstort Sines. Was er wohl dazu sagen würde, dass die Schiffe inzwischen nicht duftende Gewürze aus fremden Ländern bringen, sondern Container, die von den Krakenarmen eines Krans in einem nach ihm benannten Terminal entladen werden, oder Flüssiggas und Öl, das in riesigen Tanks nördlich der Hafeneinfahrt gespeichert wird?
Sines verfügt aber nicht nur über Portugals einzigen Tiefseehafen, sondern hat auch eine kleine, aber feine Altstadt zu bieten, mit mehreren Kirchen und einem Schloss, dem Gouverneurspalast, in dem da Gama das Licht der Welt erblickte, weiters Sandstrände sowie eine gut geschützte Marina mit 230 Liegeplätzen. Die äußersten, nordwestlich gelegenen Liegeplätze weisen rund fünf Meter Wassertiefe auf und sind für Gäste vorgesehen. Von ihnen wird erwartet, dass sie zunächst am Rezeptionssteg, der auch als Tankstelle fungiert, anlegen. Die Anfahrt bei Nortada, der kräftig von achtern anschiebt, wird im Revierführer als "aufregend" beschrieben.
Die Portugiesen sind sehr freundlich und höflich und bleiben das sogar, wenn man sie drei Tage lang mit Telefonanrufen im Halbstunden-Takt quält. Nur leider hat unser Telefonterror nicht den gewünschten Effekt. Weder der Doca da Comercio, noch der Clube Naval von Setubal oder die Marina de Tróia hat einen Liegeplatz für uns. Wir machen uns trotzdem auf dem Weg zum Rio Sado, was bei hoher Welle genau von vorne und verhältnismäßig wenig Wind zunächst ein mühsames Unterfangen ist. Nur mit Motorunterstützung können wir Meilen nach Norden gutmachen, später spielt uns der immer mehr auf West drehende Wind in die Karten.
Hinter der Halbinsel Troia lassen wir den Anker vor einem wunderschönen Sandstrand mit duftendem Pinienwald und blühenden Blumenwiesen fallen, der sich zwischen den Römischen Ruinen und einer Marinebasis befindet. Leider führt die Kombination aus stark abfallendem Grund, einer kleinen, fiesen Regenwolke und der auslaufenden Strömung dazu, dass wir über den Anker treiben und ihn ausreißen. Die nachfolgenden Ankermanöver gestalten sich als mühsam, das Vertrauen in die Haltekraft ist erschüttert. Die Nacht verbringen wir daher sicherheitshalber in abwechselnder Ankerwache.
Zwei Seiten
In der Früh stapfen Angler wenige Meter von unserer Badeplattform entfernt durchs knietiefe Wasser und scheinen durch unseren Anblick ebenso verstört wie wir durch ihren. Obwohl das Echolot noch drei Meter unter dem Kiel anzeigt, brechen wir bald Richtung Setubal auf, um im drittgrößten Hafen Portugals ein paar Einkäufe zu erledigen und vielleicht vor Ort doch noch einen Liegeplatz zu ergattern. Wir ankern zwischen Yachtclub und Fährhafen, genauso wie im Hafenhandbuch empfohlen und in der Seekarte eingezeichnet. Der Landgang ist äußerst erfolgreich: Wir treffen eine polnische Crew, die ebenfalls mit einem Charterschiff von Palmayachts unterwegs ist und uns von vielen freien Liegeplätzen in der Marina Tróia gegenüber berichtet.