Dirk und andere Koffer
Fehlentwicklungen. Von grauen Leinen, elektrischen Winschen und Häusln im Überfluss
Ich geb’s zu: Ich hab‘ nicht nur die Dirk abgerissen, sondern auch den Block zerbröselt, durch den sie geführt war. Mea culpa. Und zwar ganz allein. Ich will auch gar nicht krampfhaft nach Ausreden suchen, aber …
… erstens ereignete sich der Vorfall in der Dämmerung,
… zweitens waren alle Leinen auf diesem Schiff einheitlich grau.
… drittens waren die Klemmen falsch oder gar nicht beschriftet,
… viertens verfügte die 54er über Elektro-Winschen,
… fünftens befanden sich unter den sieben Mitseglern fünf Debütanten
… und sechstens hieß einer von ihnen Dirk.
All das hätte ich beachten müssen. Wie gesagt: Mea culpa!
Aber der Reihe nach: Nachtfahrt. Wir tuckern in der Flaute von Vis nach Korčula. Mit Sonnenuntergang kommt Wind auf. Segel setzen. Mein Kommando: „Dirk, beleg‘ den Unterliekstrecker!“ Kettenreaktion. Dirk befindet sich nicht an Deck, was ich in der Dämmerung nicht bemerke, sondern auf einem der vier Häusln. Darum legt Klaus eine Leine um die Elektro-Winsch. Ihm wiederum ist „Unterliekstrecker“ kein Begriff. Er nimmt nur das Wort „Dirk“ wahr. Ich hasse Elektro-Winschen. Jetzt drücke ausgerechnet ich auf den Knopf, der sich weit weg von der Winsch befindet. Die folgenden fünf Sekunden in Comic-Lautschrift: „Oing, oing, oing, jenk, jenk, jenk, krntz, krntz, krntz …. zack!!!“ Was für ein Schnalzer.
Zum dritten Mal: Mea culpa! Trotzdem reicht dieser Vorfall für einen offenen Brief an alle Vercharterer, die sich betroffen fühlen:
Hoch verehrter Herr Vercharterer!
Ist es zu viel verlangt, alle für den Segelbetrieb relevanten Leinen in unterschiedlichen Farben zu bestellen? Und zwar nicht, indem eines Ihrer Boote nur rote, eines nur blaue und (m)eines nur graue Leinen hat. Ich will meiner Crew zurufen können: „Beleg‘ die Blaue, hol‘ die Rote dicht, fier‘ die Grüne und greif‘ die Violette ja nicht an!“
Apropos Angreifen: Wenn die oft minderbemittelten Klemmen schon beschriftet sein müssen, dann bitte richtig! Wenn einer anstelle des zweiten Reffs das Großfall ausrauschen lässt, weil irgendein Hirnederl eine besonders kreative Beschriftungs-Idee hatte, so ist das zwar abermals meine Schuld. Ich werde Sie dafür aber trotzdem bei nächster Gelegenheit ermorden.
Apropos Mord: Sind Sie sich im Klaren, was ein Anfänger mit einer Elektro-Winsch anstellen kann? Bitte lassen Sie sich diese Fehlentwicklung von den Herstellern nie wieder aufschwatzen! Da sind Menschen an Bord, die segeln wollen. Also sollen sie gefälligst auch kurbeln. Nur so bekommen sie ein Gefühl für die Kräfte, die da wirken. Nachdem einer meiner Frischlinge versucht hatte, die Genua ganz ohne Winsch zu reffen, analysierte er diese Kräfte überaus treffend: „Bist deppert! Ich scheiß mich an!“
Apropos Anscheißen: Können Sie mir bitte erklären, warum sich in einem knapp 18 Meter langen Schiff vier Toiletten befinden? Ich brauch ja auch nicht 40.000 Häusln für ein Rolling-Stones-Konzert. Wer zumindest eine Woche mit Gleichgesinnten auf einem Boot verbringen will, wird sich ja nicht gleich in die Hos’n machen, wenn er fünf Minuten warten muss.
Apropos Hos’n: Der spärliche Stauraum ist meist ein viel größeres Problem als die Mehrfachbesetzung der Stoffwechselkabine. Zumal viele Schiffe mit müllabfuhr-farbenen Schaumstoff-Rettungswesten ausgestattet sind, von denen jede einzelne so viel Platz braucht wie ein mittelgroßer Koffer.
Apropos Koffer: Sie sorgen für bunte Leinen, ich sorge dafür, dass keine Koffer an Bord sind. Im doppelten Sinn. Deal?
Hochachtungsvoll,
Dirk (Deckname)