Mehr Meer als See
So nah und doch so fern. Eine bizarre Vulkanlandschaft und smaragdgrünes Wasser verleihen dem Plattensee einen exotischen Touch
Dunkle Wolkenungetüme türmen sich links und rechts des Badacsony auf und lassen den erloschenen Vulkan wie einen Spielzeugkegel aussehen. Das Donnergrollen kommt bedrohlich näher, Blitze zucken grell über das finstere Firmament. Der Balaton ist aufgewirbelt und schlammgrau, Gewitterböen rasen über die aufgepeitschten Wogen, wir werden von einer Seite auf die andere geworfen. Nach drei Minuten ist der Spuk vorbei – und die Tür des Sturmsimulators öffnet sich. Erleichtert schaue ich aus dem Fenster des Schifffahrtsmuseums in Balatonfüred auf weiße Segel, die unter blauem Himmel friedlich auf dem Plattensee schunkeln.
Glücklicherweise zeigt sich der größten Binnensee Mitteleuropas auch zu Beginn unseres einwöchigen Törns von seiner freundlichen Seite. Nachdem wir in Balatonlelle, einem typischen Badeort am Südufer, der atmosphärisch an die italienische Nordadria erinnert, unsere Queen of the Bongo, eine Phobos 24, gekrant und aufgebaut haben, lassen wir Souvenirstände, Imbissbuden, Wasserrutschen, Sonnenschirme und Luftmatratzen mit Kurs West schnell hinter uns.
Bei schwacher Nordwestströmung gleiten wir auf die verheißungsvoll in der Sonne glitzernde Seemitte hinaus. Am Nordufer zeichnet sich eine Kette markant geformter Hügel und Kegel ab, während das Südufer eher dem Neusiedler See ähnelt und flach ausläuft. Weit entfernt am Horizont sind vereinzelt andere Segel auszumachen. Die Bezeichnung Meer der Ungarn ist nicht übertrieben – das Panorama erinnert tatsächlich eher an eine Meeresküste denn an einen Binnensee.
Unser acht Meilen entferntes Ziel Fonyód verfügt über vier Häfen. Wir entnehmen dem Revierführer aus dem Jahr 1996, dass sich der Port Lacaj II gerade im Bau befindet und gehen davon aus, dass er nach 22 Jahren fertiggestellt und noch immer gut im Schuss ist. Doch weit gefehlt: Es erwarten uns Bauruinen und Stege, die in erster Linie Enten als stilles Örtchen dienen. Liegeplätze gäbe es genug, aber wir beschließen, der tristen Atmosphäre zu entrinnen und den nächstgelegenen Bahart Hafen anzulaufen. Eine gute Entscheidung. Er ist idyllisch in eine Bungalowanlage im Ortszentrum eingebettet und von den zehn Gästeplätzen sind nur drei belegt. Sie sind allerdings für größere Yachten ausgelegt, so dass unsere zehn Meter langen Belegleinen schnell zu kurz werden.
Die Hauptattraktion von Fonyód ist der Ausblick auf das gegenüberliegende Nordufer, wo sich zwölf Vulkane aneinanderreihen. Die markantesten Formen haben der Badacsony, eine Miniaturausgabe des Tafelbergs in Kapstadt, und der Csobánc, der an den Zuckerhut in Rio erinnert. Für knapp einen Euro erhält man Zutritt zum Aussichtsturm Sipos-hegyi kilató, der sich auf der einzigen Anhöhe des Südufers befindet und den besten Blick bietet.
Exklave
Auf dem Weg zur zweitgrößten Stadt am Balaton, der ganz im Westen gelegenen Universitätstadt Keszthely, lernen wir die Tücken des Sees kennen. Der Wind sorgt dafür, dass wir es uns auf der zwölf Seemeilen langen Überfahrt nicht zu gemütlich machen können. Mal kommt er von vorne, mal von hinten, mal lässt er komplett aus, dann bläst er wieder von einer Sekunde auf die andere mit drei bis vier Beaufort. Besonders die Düse zwischen Keszthely und Vonyarcvashegy bekommen wir zu spüren.
In der Marina von Keszthely fühlen wir uns gleich heimisch. Hier hat der ÖSYC seine Regionalstelle und es gibt dementsprechend viele Yachten unter österreichischer Flagge. Die Anlage bietet 14 Gästeliegeplätze an Fingerstegen und moderne, große Sanitäranlagen, sowie mit dem Pura Vida eines Gault-Millaut-Haubenkochs das wohl exklusivste Marinarestaurant der Region.
Ein Ausflug in die historische Innenstadt, die man zu Fuß in 25 Minuten oder mit dem Taxi für 1.500 Forint (rund 4,6 Euro) erreicht, ist Pflicht.