Stört dich meine Fußfessel?

Wissensdurst. Das beliebteste Seezeichen auf den sieben Weltmeeren ist ganz eindeutig das Fragezeichen.

Stört dich meine Fußfessel?

Das originellste Versteck ist dort, wo der Gegenstand hingehört. Die uneinholbar häufigste Frage auf jeder Segelyacht beginnt daher mit „Wo ist …“ Mit Respektabstand folgen „Wann simma da?“ und „Wie funktioniert …“ Fragen mit „Kannst du bitte …“ und „Haben wir …“ sind auch nicht selten.

Die unangenehmsten Fragen an den Skipper beginnen mit „Warum hast du …“ oder „Warum hast du nicht …“ Denn die beziehen sich immer auf die Vergangenheit und daher womöglich auf irreversible Skipper-Fehler. „Warum hast du den Spinnaker nicht früher geborgen?“ war die zweitunangenehmste Frage, die mir auf einem Boot je gestellt wurde. Übertroffen wurde sie nur von: „Warum hast du die Crew nicht durchgezählt?“

Schuldbewusste Eingeständnisse eines Crewmitglieds beginnen hingegen fast immer mit „Ist es sehr schlimm, dass ich …“ Meist folgt diese Frage auf fragwürdige Handlungen, deren Auswirkungen im Spektrum von Lappalie bis Schiffsuntergang liegen. Zweischneidig ist auch die Frage: „Darf ich bitte einmal ans Ruder?“ Besonders, wenn sich der Fragesteller generell oder in der gegenwärtigen Situation keinesfalls ans Ruder stellen sollte.

Zum Glück gibt es aber immer wieder Crewmitglieder, die den Segelalltag des Skippers durch besonders originelle Fragen veredeln. „Wie heißt dieser Ort?“ klingt nach Allerweltfrage. Im konkreten Fall führte sie aber zu einem kollektiven Lachkrampf, weil der Fragesteller mit verschränkten Armen an der etwa tennisplatzgroßen Ortstafel von BRUGULJE (Insel Molat) lehnte, während der Rest der Crew noch damit beschäftigt war, das Boot längsseits festzumachen.

Erst mit etwas zeitlichem Abstand konnte ich über die Frage „Brauchen wir den Gummiball noch?“ lachen. Ein zehnjähriger Kadett hatte zuvor im Hauptsaison-Getümmel der Hafenausfahrt von Rab einen Fender durch die Finger gleiten lassen.

Bei Herrentörns hört man die Frage „Darf ich euch etwas Feines kochen?“ ausgesprochen selten. Viele – fast ausschließlich männliche – Crewmitglieder leiden unter Herdimmunität. Was soll ich sagen? Sehr oft ist das auch gut so! Wenn aber einer am letzten Tag einer Törn-Woche erstmals die Frage „Wo sind die Geschirrtücher?“ stellt, kann man ihm beim besten Willen keinen übertriebenen Putzfimmel vorwerfen. Vielleicht sollte ich den guten alten Backschaft-Plan nach Jahrzehnten des Schlendrians doch wiederbeleben. Ich bin allerdings sicher, dass auf Yachten nicht bei seglerischen Tätigkeiten am meisten Blut fließt, sondern beim Zwiebelschneiden. Stark frequentierte Frage: „Wo ist das Verbandszeug?“

Apropos Bluttat: Einer der üblichen Verdächtigen stellte mir schon beim ersten Betreten der Passarella die Frage: „Stört dich meine Fußfessel?“ An sich irritierte mich der blinkende Reifen um seinen Knöchel nicht. Wohl aber weckte das mutmaßliche Strafregister jenes Mannes mein Interesse, dessen Fuß in diesem Reifen steckte. Zumindest ein Hacker-Genie musste er ja sein. Wie sonst hätte er Kritzendorf mit einer aktiven Fußfessel verlassen können? Erleichtert war ich erst, als er mir glaubhaft versicherte, bei einer medizinischen Studie mitzuwirken. Also war er weder Pirat noch Politiker, sondern lediglich Versuchskaninchen. Okay, nebenbei entpuppte er sich auch als Exhibitionist, denn selbst beim Anlegen im überfüllten Stadthafen von Hvar trug er die blinkende Fußfessel – und sonst nichts. Ein peinlicher Umstand, den ich während der erbitterten Seeschlacht um die einzige freie Parklücke völlig außer Acht gelassen hatte. Der splitternackte Mann am Heck stellte dem leicht pikierten Hafenkapitän die Frage: „Können Sie meine Leine nehmen?“ Manchmal ist nicht die Frage der entscheidende Faktor für Situationskomik, sondern die Antwort. Denn der schlagfertige Chef der Mole erwiderte staubtrocken: „Gibst du mir andere Leine! Deine zu kurz!“

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