Schmerzbefreit
Zuerst kam Irma, dann Corona. Der Neuanfang war steinig, aber nun präsentiert sich das karibische Einstiegsrevier wieder von seiner besten Seite. Lokalaugenschein auf den British Virgin Islands, durchgeführt von Verena Diethelm
Auf den BVI unterscheidet man zwei Zeitrechnungen: Vor und nach Irma. Der mächtigste Hurrikan aller Zeiten wütete im September 2017 über dem karibischen Inselparadies, zerstörte die komplette Infrastruktur, 80 Prozent aller Häuser und so gut wie alle nautischen Einrichtungen. Während sich die Natur überraschend schnell erholte, gestaltete sich der Wiederaufbau in dem Inselstaat, in dem so gut wie alles importiert werden muss, als noch nie dagewesener Kraftakt. Und als wäre das nicht schon schwierig genug gewesen, verzögerte die Pandemie vielerorts die geplanten Neueröffnungen.
Nun, im Jahr 5 nach Irma, sind die meisten Wunden, die der Hurrikan geschlagen hatte, verheilt. Viele Resorts und Marinas wurden wieder auf den Stand vor Irma gebracht, andere wagten sogar einen kompletten Neuanfang und erstanden wie Phoenix aus der Asche noch größer und luxuriöser auf.
Bei einer vom Tourismusbüro der BVI organisierten Pressereise im Frühling 2022 konnten wir uns davon überzeugen, dass die rund 60 Inseln, die den Anfang der Kleinen Antillen bilden, trotz einiger Veränderungen nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt haben und noch immer das beste Einstiegsrevier in der Karibik darstellen. Wie für viele Chartergäste ist auch für uns The Bight, ein gut geschützter Ankerplatz auf Norman Island und nur sechs Meilen vom Ausgangshafen auf Tortola entfernt, die erste Anlaufstelle. Hier sollen der Legende zufolge 450.000 Dollar, Tafelsilber, Koschinellen, Indigo und Tabak vergraben sein, was dem Eiland den Spitznamen Schatzinsel einbrachte. Auf Yachties wirkt weniger der Schatz als Magnet, sondern vielmehr die Willy T, ein schwimmendes Restaurant mit Bar, das für seine ausgelassenen Partys bekannt und nach einem kurzen Intermezzo auf Peter Island wieder an seinen langjährigen Stammplatz zurückgekehrt ist. Bei der aktuellen Willy T handelt es sich übrigens um einen Neubau, das Original wurde von Irma versenkt und fristet sein Dasein als künstliches Riff in der Nähe von Key Point.
Beim Tauchgang in der benachbarten Kellys Cove entdecke ich leider keinen Schatz, aber eine reiche Unterwasserwelt mit Schildkröten im Seegras, einem karibischen Riffhai im Blauwasser, Langusten in Felshöhlen, Stachelrochen am Sandgrund und jeder Menge bunter Fische. Der Hurrikan habe den Meeresbewohnern kaum etwas anhaben können, die Pandemie ihnen sogar eine Verschnaufpause gebracht, bestätigt Tauchguide Abi von den in der Nanny Cay Marina stationierten Blue Water Divers.
Selbstversorger-Insel
Dart ist nicht nur ein beliebtes Pub-Spiel, sondern anscheinend auch ein einträgliches Geschäft. Colin Harris begann in den 1970er Jahren mit Pfeilen zu handeln und baute bald ein ganzes Dart-Imperium rund um die Marke Harrows auf. 2009 erstand die Familie Cooper Island und entwickelte daraus einen umweltfreundlichen Beach Club, in dem Nachhaltigkeit groß geschrieben wird. So sorgen 303 Solarpaneele auf den Dächern dafür, dass 86 Prozent des Strombedarfs gedeckt sind. Der Dieselgenerator muss nur in der Nacht angeworfen werden, Entsalzungsanlage und Regenwasser-Zisterne stellen die Versorgung mit Trinkwasser sicher.
Irma deckte zwar auch hier alle Dächer ab, aber im Vergleich zu anderen Resorts hielten sich die Schäden in Grenzen und konnten relativ zügig behoben werden. Ein Unterschied zu meinem letzten Besuch 2015 ist kaum zu erkennen – außer dass die Vegetation noch üppiger zu sein scheint. Das dürfte aber auch an der guten Pflege liegen. Besonders stolz ist Resort-Managerin Jana Koch auf den eigenen Gemüsegarten – so muss im Restaurant von Cooper Island kein importiertes Gemüse verarbeitet werden. "Ein Burger ist viel besser, wenn die Tomate auch nach Tomate schmeckt", ist Koch überzeugt. Neben dem ausgezeichneten Restaurant gibt es auf Cooper Island eine eigene Mikro-Brauerei, in der ein junger Braumeister aus Irland erfrischendes Lager- und Craftbier produziert, ein Café, in dem ein brasilianischer Barista Kaffeespezialitäten kredenzt, und eine Rum Bar, in der das Verkosten von 260 Flaschen Rum, der größten Auswahl der gesamten BVI, eine Lebensaufgabe darstellt; vor allem, wenn man mit dem dort ebenfalls vorrätigen 80-prozentigen Stroh Rum aus österreichischer Produktion beginnt. Painkiller, das Nationalgetränk der BVI, kostet zehn US-Dollar, und vereint Rum, Ananas- und Orangensaft sowie Kokosmilch mit einem Hauch von geriebener Muskatnuss. Genießen kann man diese Köstlichkeit an Stehtischchen im knietiefen, warmen Wasser mit Blick auf die Manchioneel Bay, in der 30 Bojen von Moor Seacure verankert sind. 15 davon können über BoatyBall reserviert werden, was empfehlenswert ist, da Cooper Island aufgrund seiner Nähe zu den Charterbasen auf Tortola ein sehr beliebter Platz ist und die Bojen oft schon zu Mittag vergeben sind. Ankern ist verboten, da in der Seegraswiese Schildkröten wohnen.
Luxus statt Gestrüpp
Wie Perlen an der Schnur reihen sich am nächsten Morgen die weißen Dreiecke im Sir Francis Drake Channel auf. Nach der Rundung von Ginger Island kommt auch das eine oder andere bunte Tuch dazu. Wir begleiten die Teilnehmer der 49. BVI Spring Regatta bis zu ihrem Tagesziel bei Scrub Island.