Ohne Hast und Eile
Wer Irland auf dem Wasserweg entdeckt, braucht touristischen Trubel nicht zu fürchten. Man taucht tief in die Seele einer Region mit wechselhafter, oft leidvoller Geschichte, Entspannung und Genuss kommen dabei dennoch nicht zu kurz
Links Schafe, rechts Kühe, dazwischen tuckern wir mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 5 km/h durch saftiges Grün. Sanfte Hügel und weite Wiesen prägen die Landschaft, durch die sich der River Erne unaufgeregt schlängelt. Hin und wieder taucht ein Häuschen in unserem Blickfeld auf, manchmal sogar ein gediegenes Anwesen oder gar ein kleines Ferienresort. Vor wenigen Stunden haben wir unser Hausboot im nahen Bellanaleck übernommen, wo der Spezialist Locaboat in einer kleinen, relativ neuen Marina seit heuer eine eigene Basis betreibt. Check-In und Einweisung verliefen rasch und unkompliziert, ebenso der erste Großeinkauf beim Diskonter sowie das Verstauen der Lebensmittel und Getränke in der 42 Fuß langen, geräumigen Penichette, die uns eine Woche lang als schwimmendes Heim dienen soll. Nun sitzen wir auf der Flybridge, strecken die Beine lang und lassen die friedvolle Szenerie entspannt an uns vorbeiziehen, bis sich das auf einer Insel liegende Enniskillen vor uns auftut. Das erste Etappenziel unserer Reise ist erreicht – es wird geschäftig an Bord. Drei öffentliche Anlegestellen stehen den Bootsfahrern gratis zur Verfügung, wir finden auf Anhieb einen Platz am Rande eines kleinen Parks und in unmittelbarer Nähe zur der Burg, die ein irischer Lord als Befestigungsanlage erbauen ließ. Sie sieht entzückend aus, als ob eine Märchenprinzessin darin auf ihren Märchenprinzen warten würde, und drückt der Stadt ihren Stempel auf. Im Osten brauen sich schwarze Wolken zusammen, doch noch taucht die Sonne die beiden Türme in wunderbares, goldenes Licht. Nachdem das Schiff vertäut ist, spazieren wir durch die Gassen, werfen einen Blick in die Sankt-Macartin-Kathedrale und landen eher zufällig im Café Merlot, das kein Café, sondern eines der besten Restaurants Nordirlands ist. Fix werden wir bedient und ebenso fix macht man uns ein Angebot: Weil wir relativ früh dran sind, gelten wir als „early birds“ und können aus der Karte zwei Gänge zum Fixpreis von 18,95 Pfund wählen. Na dann: Her mit den Köstlichkeiten! Als wir satt und zufrieden gegen 22 Uhr zurück zum Schiff wandern, ist es immer noch hell. Mit einer Flasche Wein machen wir es uns an Deck gemütlich, bis uns ein kalter Wind in die Kojen treibt. Daheim in Österreich stöhnen die Menschen gerade über die Affenhitze von über 40 Grad, hier braucht man auch tagsüber immer wieder seine Jacke und nachts eine warme Decke. Das unbeständige Wetter in dieser Region ist Fluch und Segen zugleich. Wer Pech hat, und in seinem Urlaub eine so genannte „nasse Woche“ erwischt, wird an Irland nur beschränkt Gefallen finden, andererseits blieb das Land dadurch von Massentourismus und hässlichen Hotelburgen verschont. Wir sind für alle Eventualitäten gerüstet, haben sowohl Badeanzug als auch Fleece-Pulli dabei und hoffen das Beste.
Entspannter Grenzverkehr
Den Fleece-Pulli können wir am nächsten Tag gleich auspacken, ebenso die Regenjacke. Wir haben uns in den Lower Lough Erne verholt, der sich über eine Fläche von 77 Quadratkilometern weit in den Norden erstreckt. Immer wieder ziehen Regenschauer über uns hinweg, doch das hält uns nicht davon ab, Devenish Island zu besuchen, auf der sich Ruinen eines Klosters aus dem 6. Jahrhundert finden. Wir sind das einzige Schiff am Anlegesteg und stiefeln als einzige Besucher durch die Anlage, die von einer wechselhaften und turbulenten Geschichte zeugt. In aller Ruhe können wir den Rundturm, eine kleine Kirche sowie ein aufwendig gestaltetes Hochkreuz bestaunen und versuchen uns vorzustellen, wie die Menschen auf diesem Inselchen wohl ihr Leben gelebt haben; die ausführlichen Informationen auf den diversen Tafeln helfen uns dabei.
Devenish Island markiert den nördlichsten Punkt unserer Route, wir kehren um, legen einen weiteren Stopp auf Crom Island ein, und wechseln danach in weiterhin gemächlichem Tempo von Nordirland in die Republik Irland. Noch ist der Brexit nicht vollzogen und so kann man diese Grenze ohne jede Formalität passieren. Das Grün der Wiesen sowie die beschauliche Atmosphäre sind hier wie da ident, nur die Währung ändert sich: In Nordirland galt das Pfund Sterling, jetzt können wir wieder mit dem vertrauten Euro bezahlen.
In Belturbet machen wir Schluss für heute. Es ist ein Städtchen, wie es uns auf dieser Reise immer wieder begegnen wird: Sympathisch verschlafen und ohne besondere Sehenswürdigkeiten. Größte Attraktion ist der zu einem Eisenbahnmuseum umfunktionierte, stillgelegte Bahnhof, der ausschließlich Sonntags von 11 bis 13 Uhr öffentlich zugänglich ist; da heißt es umsichtig planen, um dieses Highlight geöffnet zu erwischen …
Aber wir sind sowieso keine Eisenbahn-Fanatiker.