Oida, wann simma endlich da-ha?
Sommerferien VII*. Ein Schiff ist traditionellerweise die Wiege von Disziplin und Ordnung. Oder so
Kinder haben zwei herausragende Eigenschaften: Ordnungsliebe und Geduld. So das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstitutes BULLSHIT UNLIMITED. Befragt wurde genau eine Person, nämlich der Oberstreber einer Eliteschule in Schnöselhausen.
Doch warum, beim im Höllenfeuer schmorenden Klabautermann, warum wurde ausgerechnet unsere Familienflotte mit zwölf Erwachsenen und 13 Kindern auserwählt, um diese Studie zu widerlegen?
Wien, Samstag, 6:45 Uhr. Zwei kleingewachsene, schlaftrunkene Wesen ohne Gesichtsfarbe plumpsen auf die Rückbank des vollgepackten Autos. Während noch der Rückwärtsgang eingelegt ist, wird erstmals die Frage aller Fragen gestellt: „Wann simma da-ha?“ Ab Wiener Neudorf ändert sich der Wortlaut auf „Oida, wann simma endlich da-ha?“, wobei das Wort „Oida“ kein abschätziges Synonym für „Eltern“ ist, sondern „mir is sooooo faaaad!“ bedeutet. Das Intervall zwischen den Fragen beträgt fünfzig Kilometer und wird kurz nach der kroatischen Grenze auf 30 Kilometer verkürzt. Eine neue Frage taucht auf, sie lautet: „Simma schon da?“ Die logische Antwort „Nein, weil Zagreb unverschämterweise nicht am Meer liegt“, löst ein zweistimmiges „Geh Oida, bitteeee!“ aus. Wobei dieses „Oida“ durchaus abschätzig gemeint ist.
In unserem Ausgangshafen Zadar werden sämtliche Schattierungen von „Wann simma …?“ durch „Wo ist …?“ ersetzt. Dann erfolgt die Kernschmelze, wie wir das Zusammentreffen aller Jung-Passagiere am Steg vor unseren drei Charter-Yachten nennen. Ab diesem Zeitpunkt steht keiner von ihnen auch nur eine Sekunde für die Tätigkeit des Suchens von Gegenständen und Kleidungsstücken zur Verfügung. Vierzehn Tage – das sind 1,209.600 Sekunden.
Wenn alle verfügbaren Utensilien verloren, verlegt, versteckt, im Wirtshaus vergessen oder aufgefressen sind, bekommt die Engelsgeduld der Kinder sowie die Frage „Wann simma da-ha?“ erneut Oberwasser. Eine unüberlegte Antwort wie „um vier“ ist ein schwerer Fehler. Wird das Ziel nämlich windbedingt auch nur um eine Stunde verfehlt, führt dies zu massiven Vorwürfen. Väter haben gefälligst die Natur zu beherrschen! Besonders, wenn sie Skipper sind, Oida!
In einer Konoba auf Dugi Otok komme ich mit einer Familie aus Mainz ins Gespräch. Ein älterer Herr, eine junge Frau, zwei Mädchen. Alle 13 Kinder unserer Flotte sind hingegen spurlos verschwunden. Dugi Otok heißt lange Insel – sie haben also genügend Platz, um sich zu verteilen.
„Na, haben deine beiden Enkerl auch so viel Geduld als Rudergänger?“, frage ich den Mann augenzwinkernd. Und unterstreiche meine ironisch gemeinte Frage noch mit: „Meine Kinder halten oft ganze fünf Minuten am Steuer durch.“
Der Mainzer schweigt betreten. „Das ist nicht mein Opa, das ist mein Papa“, antwortet das Ältere der Mädchen und formt mit ihren Stirnfalten eine Borawalze.
Ich könnte mich in den Hintern beißen. Dann mache ich alles noch schlimmer: „Tut mir leid“, sage ich. „Aber Anthony Quinn ist ja auch noch mit 81 Vater geworden.“ Wäre der Mann nicht gut erzogen, würde er mir jetzt den Topf mit seinen Miesmuscheln in Weißwein-Knoblauch-Sauce aufsetzen. Er spürt aber offenbar, dass ich eh schon kopfüber im Fettnapf stecke.
In diesem Augenblick stürmen vier mir unbekannte Buben unterschiedlichen Alters ins Wirtshaus. Wild durcheinander kreischend berichten sie dem Mainzer Quinn, was sie in der letzten Viertelstunde alles verloren, zerstört und versenkt haben; unter anderem geht es um den Dinghi-Außenborder. Nach diesem Auftritt wird mir bewusst, wie brav, geduldig und ordnungsliebend die 13 Kinder unserer Flotte eigentlich sind.
Gerade als mein Glaube an das Wunder Familientörn wieder erwacht, dreht sich der steinalte Mainzer zu mir um und sagt: „Ich bin übrigens 46.“
*Immer in den Sommerferien (Juli und August) ist die Kolumne „Abdrift“ dem „Wunder Familientörn“ gewidmet.