Falscher Hafen, falscher Film
Die unglaubliche Geschichte der Stempelhexe von Porto Montenegro und ihrer Handlanger
Das Unheil nimmt seinen Lauf, nachdem wir einen guten Rat in den Wind geschlagen haben: Wir steuern mit zwei Charter-Yachten nicht das idyllische Dorf Zelenika an, sondern die glamouröse Marina Porto Montenegro, das Xanadu der Adria, um dort einzuklarieren.
Ein überaus freundlicher Marinero fragt verdächtig oft, ob mit unseren Schiffspapieren eh alles in Ordnung sei. Er kündigt an, in einer Stunde zurück zu kommen. Bis dahin dürfe keiner an Land gehen. Nach zwei Stunden ist er wieder da und verspricht, dass alles in einer Stunde erledigt sein werde. Es gäbe ein winziges Problem.
Zwei Stunden später teilt er uns mit, dass ein Stempel fehle. Die Beamtin sei aber gerade im anderen Büro. Alexander und ich besteigen seinen Buggy und lassen uns durch die Über-Drüber-Marina mit ihren Nobelrestaurants und Designerläden kutschieren.
„Es könnte schlimmer sein“, sagt Alexander, „es könnte regnen.“ In diesem Augenblick beginnt es zu schütten. Ein blondes Kind stürzt mit dem Dreirad vor unser Gefährt, der Marinero weicht gerade noch aus. Die hochgestelzte Mutter maßregelt den Buben lautstark auf Russisch.
Im Amt sitzt keine Beamtin. Ein grauer Mann mit total verdreckter Buchhalter-Brille sagt, dass Frau Karinovic jetzt im anderen Büro sitze. Selbiges befinde sich genau zehn Schritte neben unserer Anlegestelle.
Auf der Rückfahrt merke ich an, dass es schon lang nicht mehr geregnet habe, worauf es zu schütten beginnt. Der blonde Fratz stürzt mit dem Dreirad vor unseren Buggy. Die russische Mutter….
Ankunft beim Büro-Container. Tatsächlich. Frau Karinovic hält Hof. Der Marinero übersetzt ihr Gebrüll. Dann schmeißt sie uns raus. Es folgen mehrere Telefonate mit der Charter-Basis in Dubrovnik. Der zuständige Australier lässt ein erstaunliches Sortiment an angelsächsischen Schimpfworten vom Stapel.
Nach zwei weiteren Stunden erhalten wir per Fax die Kopie einer gestempelten Urkunde von einem Notar aus Split. Jubelnd stürmen wir den Büro-Container. Grundkenntnisse der serbokroatischen Sprache reichen aus um festzustellen, dass wir soeben zum zweiten Mal rausgeschmissen werden. Die Amtsstunden sind vorbei. Xanthippe residiere jetzt wieder im anderen Büro. Wir alarmieren den Marinero. Zwei Meutereien stehen unmittelbar bevor. Nächste Ausfahrt mit dem Buggy. Es schüttet. Der kleine russische Volltrottel fällt diesmal nur auf dem Gehsteig hin. Seine Mutter keift.
Im Büro angekommen, fixiert die Hexe den Stempel zehn Minuten lang, ohne ihre bärtigen Press-Lippen auch nur ein einziges Mal zu öffnen. Ich frage den Graukittel mit der Milchglasbrille, ob ich die Toilette benützen dürfte: „No!“ brüllt die Hexe. Im Befehlston verfügt sie, dass wir beide Crewlisten noch einmal händisch ausfüllen müssen, weil unsere Listen eine Beleidigung des Staates Montenegro seien. Ob ich kurz ein Café aufsuchen dürfe, um dort das WC zu benützen. „No!“, herrscht mich die Hexe an. „Office closes!“
Endlich donnert sie ihren Stempel auf die Crewlisten. „Sauerei“, flüstere ich Alexander zu. „Das habe ich gehört!“ brüllt die Hexe, die plötzlich Deutsch kann. „Raus hier!“ Ja, gern! Der Marinero gibt Vollgas, für den Fall, dass es sich die Furie noch einmal anders überlegt. Der schwer erziehbare Russe fällt hin und trommelt mit den Fäusten auf den Asphalt. Die Mutter keift.
Vor einem Damen-WC springe ich aus dem fahrenden Buggy. Dort werde ich von einer Engländerin mit einem Regenschirm verprügelt, doch ich bin nicht aufzuhalten. Wolkenbruch – drinnen und draußen. Die Engländerin steht durchnässt vor der Tür, weil sie bei ihrem Amoklauf den Schirm ruiniert hat.
Alexander sitzt triefend im Buggy. Der Marinero ist samt Zündschlüssel verschwunden. Alexander sagt: „Du, ich glaub’, wir sind Teil einer Reality-Show. Hol’ mich hier raus!“